Belo Horizonte International Short Film Festival 2015
Letztes Jahr habe ich zusammen mit meiner Kollegin Kolja Kunt einen kleinen Found-Footage gemacht: Unterwegs mit Maxim Gorkiy. Obwohl das Konzept des Films sehr stark auf dem deutschen Voiceover-Text beruht, fanden wir mit der Zeit heraus, dass der Film auch im Ausland auf Interesse stösst. Deshalb begannen wir langsam, den Film auch bei ausgewählten Festivals rund um den Globus einzureichen. Als dann die Einladung von Festcurtas BH kam, die den Film für ihren internationalen Wettbewerb ausgewählt hatten, haben wir uns sehr gefreut. Das Festival bot uns drei Übernachtungen mit Frühstück für eine Person, allerdings konnten sie nicht die Reisekosten übernehmen. Gleichzeitig empfahlen sie in ihrer Einladung, man solle sich doch in seinem Heimatland um eine Bezuschussung der Reisekosten bemühen. Ich stellte sofort einen Antrag bei der AG Kurzfilm, die diesen auch innerhalb von wenigen Tagen bewilligten. German Films bezuschusste somit meine Reisekosten mit 500 Euro und den Druck von Flyerpostkarten mit 100 Euro.
In der Zwischenzeit hatten mich meine brasilianischen Freunde hier in Berlin überzeugt, dass es totaler Unsinn wäre, wenn ich nur für drei Tage nach Belo Horizonte fliegen würde und dann direkt wieder zurück nach Berlin. Deshalb entschied ich mich, insgesamt 14 Tage in Brasilien zu bleiben und nach dem Festival auf eigene Faust noch eine kleine Rundreise nach Ouro Preto, Rio de Janeiro und São Paulo zu machen. Da ich knapp bei Kasse war, organisierten mir meine Freunde überall auf meiner Route Privatunterkünfte, so dass daraus eine sehr schöne, leider viel zu kurze Reise wurde, auf der ich sehr viele spannende Menschen kennengelernt habe.
Am 17. September ging es dann los von Düsseldorf mit Iberia nach São Paulo, von dort hatte ich einen Inlandsflug mit TAM nach Belo Horizonte gebucht. Per Zufall traf ich in der Schlange am Flughafen in São Paulo einen Bekannten von mir, den Filmemacher Björn Speidel, der als Kurator unterwegs war zum Festival, um dort ein dreitägiges Programm zum Thema 3D-Ästhetik im Experimentalfilm zu präsentieren. Wir flogen dann auf unterschiedlichen Fliegern weiter. In Belo Horizonte gelandet, wurde ich von einer Mitarbeiterin des Festivals in Empfang genommen und zum Hotel gebracht. Das 4-Sterne-Hotel Othon Palace ist eines der besten der Stadt, es liegt nur drei Fussminuten entfernt vom Palacio Das Artes, dem Kunstmuseum und gleichzeitig Veranstaltungsort des Festivals. Das Hotel hat 25 Stockwerke und reiht sich damit in die durchweg modernistische Architektur der Stadt ein. Auf der Dachterrasse gibt es sogar eine Bar mit einem kleinen Swimmingpool. Die Zimmer waren sehr geräumig, alles war tip top. Als Festivalgast bekam man für jeden Tag zwei Essensgutscheine, die man in sieben verschiedenen Restaurants überall in der Innenstadt einlösen konnte. Zusammen mit dem Hotelfrühstück war man also quasi vollverpflegt und konnte eigentlich überhaupt kein Geld mehr ausgeben.
Das Festival begann am selben Abend mit Godards Adieu au Langage als Eröffnungsfilm, womit auch schon Schwerpunktthema 3D im Experimentalfilm eingeführt wurde. Im Anschluss fand eine große Eröffnungsparty im Innenhof des Palacio Das Artes statt, bei der ich dann auch Björn Speidel wiedertraf. Meine Betreuerinnen Mariana und Helena stellten mir alle wichtigen Leute vor, Filmemacher, Kuratoren und auch Jurymitglieder und sorgten so dafür, dass ich mich sofort wohl fühlte und bis zum Ende der Party blieb.
Am nächsten Tag lief unser Film im internationalen Programm. Der Kinosaal ist eher klein aber fein, er fasst ca. 130 Zuschauer und ist mit einem 2K-Projektor von Barco ausgestattet, sodass eine makellose Projektion garantiert ist. Alle Filme waren entweder englisch oder portugiesisch untertitelt. Ich war positiv überrascht, zu sehen, dass unser eigener Film ebenfalls vom Festival in Portugiesisch untertitelt worden war. Es stellte sich heraus, dass ich der einzige Filmemacher aus dem internationalen Wettbewerb war, der sich auf den weiten Weg nach Belo Horizonte gemacht hatte. Deshalb war ich dann auch der Einzige beim nachfolgenden Q&A. Das war wohl der Grund, weshalb es zwar einen Übersetzer gab, aber niemanden, um dieses Q&A zu moderieren. Ich musste also am Anfang etwas improvisieren, aber nach ein paar allgemeinen Erklärungen meinerseits kam dann das Ganze ins Rollen.
Jeden Abend nach dem letzten Screening wurden wir von unseren Betreuerinnen zusammen mit der Crew und anderen Filmemachern in verschiedene Restaurants eingeladen. So lernte ich sofort jede Menge Leute kennen und innerhalb kürzester Zeit hatte ich ein funktionierendes Sozialleben in Belo Horizonte. Ich war schon auf einigen Festivals, und manchmal funktioniert gerade der soziale Teil überhaupt nicht, einfach weil es keine Gelegenheit gibt, sich gegenseitig kennenzulernen und auszutauschen. Und ich muss sagen, das Team von Festcurtas BH hat sich gerade damit ganz besonders viel Mühe gegeben. Ich habe mich vom ersten Abend an sofort wohl gefühlt. Die gesamte Festival-Erfahrung war derart positiv, dass ich sogar meine Weiterreise um zwei Tage verschob, um noch mehr vom Programm mitzubekommen.
Und das Programm konnte sich wirklich sehen lassen: Björn Speidels Cinema-3D Exkursionen umfassten drei Workshops und drei Filmblöcke. Björn vermittelte sowohl einen detaillierten Überblick über die historische Entwicklung der Darstellung einer dreidimensionalen Welt auf einer zweidimensionalen Leinwand, als auch einen Überblick über die Verwendung von 3D-Technologien in der Videokunst und im Experimentalfilm heute. Ein weiteres Highlight war die Retrospektive der brasilianischen Filmemachergruppe Paraísos Artificiais. Die Gruppe bestand ursprünglich aus sechs Leuten, die unter dem Banner Paraísos Artificiais Anfang der 90er Jahre viele wilde, anarchistische Kurzfilme drehten. Doch nach der Jahrtausendwende zerbrach die Gruppe, die meisten Filmkopien gingen verloren. Heute gelten die Filme der Gruppe in Brasilien als Kultfilme. Auf Initiative des Festivals wurde nun intensiv nach dem Verbleib der verschollenen Filmkopien geforscht und man fand sie schließlich bei einem Distributor in Deutschland. Deshalb war diese Retrospektive auch gleichzeitig eine Premiere von fünfzehn verschollen geglaubten Filmen, im Original auf 16mm und 35mm. Es hat Spaß gemacht, vier der sechs Mitglieder wiedervereint auf der Bühne zu sehen und zu spüren, wie die Chemie zwischen den vieren immer noch stimmt. Das Publikum war hellauf begeistert und das Q&A dauerte über eine Stunde.
Alles in Allem kann ich nur sagen, Festcurtas BH war eine wunderbare Festivalerfahrung und ich kann es nur jedem empfehlen. Belo Horizonte ist eine fantastische Stadt, die Menschen sind offen und freundlich, das Festival kann mit einem tollen Programm aufwarten und ist sehr gut organisiert. Und offensichtlich hat das Festival auch ein gutes Händchen bei der Generierung von Sponsorengeldern, denn alle brasilianischen Gäste wurden auf Festivalkosten eingeflogen und trotz all dieser Kosten sind alle Vorstellungen gratis und für Jedermann. Die Reise war fantastisch und hat sich wirklich gelohnt für mich. Vielen Dank auch noch einmal an die AG Kurzfilm und German Films für die großartige Unterstützung!
http://www.festcurtasbh.com.br