Bericht von Iana Stefanova (LaborBerlin e.V., SKETCHES, I IS MEMORY)
Das TIE Festival in Colorado widmet sich der Kultur des bewegten Bildes in all seinen experimentellen Spielarten. Es fördert die Bekanntmachung, Vernetzung und Ressourcenbündelung ihrer Akteure, die sich in den Randgebieten der Filmkunst aufhalten. Mit seinem vielseitigen Programm, bestehend aus Filmvorführungen, Diskussionsrunden und Workshops, unterstützt es all diejenigen, die sich mit dem Material Zelluloid kreativ auseinandersetzen und vermittelt somit international seine Virulenz als vitales, unerschöpfliches Medium für die Kunst.
Gemeinsam mit der Ikone der experimentellen Filmkunst Stan Brakhage initiierte im Jahre 2000 der Filmemacher Christopher May das Festival in Colorado. Bereits zu Beginn lag der Fokus des Festivals ausschließlich auf dem Schaffen mit Filmstreifen statt mit digitalen Mitteln.
Das Festival dieses Jahres trug den Namen „Alternative Measures: an Investigation of Artist-Run Film Labs“ unter dessen Ägide die kreativen Arbeiten verschiedener unanbhängiger analoger Filmkollektive weltweit der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
Um den Kontext der analogen Filmkollektive zu verstehen, muß man folgende Umstände kennen:
In den letzten Jahren hat sich der Trend zum digitalen Film soweit entwickelt, daß mehr und mehr analog produzierende kommerzielle Labore ihre Pforten schließen müssen. Dies führt dazu, daß eine große Ansammlung an Filmausrüstung obsolet wird und somit experimentellen Filmkünstlern zur Verfügung steht.
Ein von Künstlern betriebenes Filmlaboratorium ist ein Ort, an dem Filmemacher autonom und mit eigener Kontrolle an der Postproduktion ihrer Filme arbeiten können. Hier schneiden und postproduzieren sie ihre Filme per Hand, ohne an die kommerziellen Bedingungen eines großen Labors gebunden zu sein.
Neben seiner Funktion als Ort des Schaffens wirkt es auch als Katalyst für Ressourcen: von dem Teilen von Produktionsmitteln und Informationen rund um die Arbeit mit Zelluloid bis hin zum künstlerischen Austausch.
In einem von Künstlern geführten Filmlabor wird zusammen gearbeitet, sich kritisch mit anderen Arbeiten auseinandergesetzt und gemeinsam für das Betreiben des Labors mit all seinen praktischen Notwendigkeiten gesorgt.
Ziel ist es, den künstlerischen Umgang mit dem Material Zelluloid der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und seine Präsenz ins künstlerische Bewußtsein zu bringen und zu halten.
Aus diesem Grunde ist ein Labor auch offen für Interessenten: es werden der Öffentlichkeit Werkschauen, Filmvorstellungen und Workshops angeboten.
Im Jahre 2006 wurde ein internationales Netzwerk von Künstlern betriebenen Filmlaboren ins Leben gerufen, um obige Ziele effektiver auch auf globaler und multidisziplinärer Ebene vertreten zu können:
http://www.filmlabs.org/index.php/site/einfuhrung/
Bis jetzt haben bereits vier internationale Gipfeltreffen internationaler Filmlabore in verschiedenen europäischen Städten stattgefunden.
Das TIE Festival in Colorado war für die Künstlerfilmlaborszene von ungemeiner Bedeutung, weil sie den europäischen Teilnehmern die Möglichkeit bot, ihre nordamerikanischen Pendants kennenzulernen.
Zwar können die Vereinigten Staaten sowie Kanada auf eine vielgekrönte Geschichte des experimentellen Filmschaffens zurückblicken, und sich zu Recht damit rühmen, die Vorreiter in der Kultur der Filmkollektive zu sein, jedoch ist der Grad der Vernetzung zwischen den amerikanischen Künstlern, die heutzutage mit Zelluloid arbeiten, beklagenswert gering.
Bis zu dem Zeitpunkt, als das TIE-Festival 2013 stattfand...
Einer der größten Erfolge des TIE 2013 Festivals zeichnet sich dadurch aus, daß es geschafft hat, Künstler von über sechsundzwanzig Ländern zusammenzuführen und eine Brücke zwischen den internationalen Künstlerszenen und der Nordamerikas zu schlagen, und somit die nordamerikanische Filmkunstszene in das existierende Netzwerk unabhängiger Filmlabore
einzuführen.
Das Festival selbst setzte sich aus einem fünftägigen Programm von Filmvorführungen, Installationen, Vorträgen, neun Diskussionsrunden und zwölf Workshops zusammen.
Für mich persönlich war der Workshopteil der aufregendste des ganzen Festivalprogramms.
Einige Workshops präsentierten experimentelle Entwicklungstechniken, andere konzentrierten sich auf das performative Potenzial des Films (zum Beispiel: „Expanded Cinema: Apparatus and Methodology“ vom Kanadier Alex MacKenzie).
Andere interessante, erwähnenswerte Workshops sind unter anderem "Chromaflex" vom Australier Richard Tuohy, der neue photochemische Techniken vorstellte, die es einem erlauben, auf ein und demselben Filmstreifen sowohl Negativ- als auch Positivbilder in Bunt oder Schwarzweiß unabhängig voneinander zu bearbeiten, sowie jener von Ricardo Leite aus Portugal, in dem Verfahren vorgestellt wurden, mittels welcher man unter Verwendung von Kaffee und Vitamin C Filme entwickeln kann.
Auch die Workshops von Robert Schaller aus Colorado und Lindsay McIntyre aus Montréal boten mit ihren Methoden zum Selbstmischen von Filmemulsionen einen großartigen Einblick in die Welt der Entwicklungstechniken, eine Welt, die an die Arbeit von Alchemisten erinnert, wenn man bedenkt, daß sie im Zeitalter der Digitalität stattfindet.
Während des gesamten Festivals wurden rund hundertsiebzig Arbeiten aus der ganzen Welt gezeigt, in den Formaten "8mm", "Super-8" sowie "16mm".
Ein anderer, faszinierender Aspekt dieses Festivals war die Tatsache, daß Künstler aus drei, wenn nicht sogar vier Generationen zusammengeführt wurden, vom Filmamateur bis hin zur Koryphäe der experimentellen Filmkunst: so befand sich im Programm eine Impromptu-Vorstellung von Arbeiten der Studenten der CalArts-Filmhochschule aus Los Angeles, aber auch eine Werkschau ausgewählter Arbeiten vom New Yorker Bill Brand, der bereits seit der 1970er Jahren der experimentellen Kunstszene Amerikas angehört.
Neben den Workshops und Vorträgen wurden auch einzelne Arbeiten der jeweiligen eingeladenen Künstlerkollektive vorgestellt. Das LaborBerlin e.V. war mit zwei Programmabenden vertreten, anlässlich derer Filme in Super8 und 16mm (unter anderem mein Super8-Film "Sketches: I is memory") sowie eine aus zwei 16mm-Projektioren bestehende Performance von LaborBerlin-Mitgliedern gezeigt wurden.
Unsere Delegation vom LaborBerlin bestand aus insgesamt fünf Personen: Meg Rorison, Anja Dornieden, Juan David González Monroy, Oscar de Gispert und ich selbst.
Gemeinsam leiteten wir einen zweitägigen Workshop über Mittel und Wege, ein unabhängiges Filmlabor zu gründen und zu betreiben, sowie eine Einführung ins Filmen und manuelle Entwickeln von 16mm Filmmaterial.
Aufgrund der Nähe zur Boulder Colorado Universität - die für ihre Tradition im Experimentalfilm bekannt ist - setzte sich das Publikum zum großen Teil aus hiesigen Filmstudenten zusammen. Nichtsdestotrotz besuchten auch Organisatoren und Kuratoren diverser amerikanischer unabhängiger Filmfestivals das Programm, sowie viele ansässige Filmliebhaber.
Nach Beendigung des TIE Festivals fuhr ich nach Boulder, um die vom Filmemacher Andrew Busti geführte Filmfakultät der Boulder Universität zu besichtigen. Andrew Busti ist Gremiumsmitglied des TIE Festivals sowie Gründungsmitglied des Filmlabors "Process Reversal" in Colorado, mit welchem das LaborBerlin nun ein transatlantisches Filmprojekt starten wird.
Nach meinem kurzen Besuch in Boulder verbrachte ich auf Einladung von neuen TIE Festivalbekanntschaften einige Tage in New York. Dort habe ich das Labor "Mono No Aware" besucht. Seine Mitglieder sind auch sehr daran interessiert, in Zukunft enger mit LaborBerlin e.V. zu arbeiten. Während meines Aufenthaltes in New York besprachen wir Ideen und Konzepte für gemeinsame Projekte der beiden Kollektive.
Es wäre anzunehmen, daß der experimentelle Umgang mit Zelluloid einer bald verschwindenen Handwerkskultur angehört. Jedoch erleben wir eine Art Renaissance dieser Praxis, welche sich in dem erhöhten Interesse von seiten der Kunstwelt und gerade ihren Vertretern aus der jüngeren Generation, sowie einer beträchtlichen Zahl an Kollektivneubildungen manifestiert.
TIE 2013 hatte zum Ziel, eben diese Renaissance zu enthüllen und die Auffassung, daß analoger Film eine Kunstform der Geschichte ist, mit innovativen Arbeiten, vielfältigen Diskussionen und experimentierfreudigen Workshops in Frage zu stellen.
http://hosted.verticalresponse.com/204850/6d3edd1cfa/317255305/809d991151/
Artikel über das Festival im Internet:
http://blogs.westword.com/showandtell/2013/11/christopher_may_on_alternative.php
http://www.csindy.com/coloradosprings/tie-film-festival-returns-after-a-decade-preserving-a-dying-art-through-hands-on-experience/Content?oid=2791456
http://www.experimentalcinema.org