Drama International Short Film Festival 2014
15.-20.09.2014
Jan-Gerrit Seyler
Bericht von Jan-Gerrit Seyler
Warme Luft strömt mir entgegen, als meine Knie beim Runtergehen der Flugzeugtreppe auf dem Flugfeld in Thessaloniki knacken. RyanAir ist eng. Ich bin verspannt und gespannt.
Diesmal: Griechenland. In die Stadt Drama. Auf das International Shortfilm Festival in Drama. Der im Vorraus geführte Mailaustausch lässt Gutes erhoffen. Die Website eher nicht. Gespannt bin ich auf das Team, die Screenings, Sideevents. Erwartungshaltung? Routinemäßig und festivalerfahren kaum bis gar nicht vorhanden.
Das „International“ im Titel ist noch lange kein Garant. Jedes noch so kleine Pupsfestival irgendeiner unbekannten Stadt irgendeines verlassenen Landstrichs Mecklenburg-Vorpommerns kann sich z.B. „International Festival of Am-Arsch-der-Welt“ nennen. Solange es Filme aus anderen Ländern einlädt.
Auf ein paar hat es mich bereits verschlagen. Es kann sehr charmant und familiär zugehen. Oder einfach nur öde sein. Das ISFFID könnte allerdings bedeutender sein, auch wenn die rudimentär gestaltete Website das Gegenteil vermuten lässt. Aber immerhin lässt mich die AG Kurzfilm hinreisen, und das Festival hat im Mailverkehr betont, dass es von Interesse für mich sei, kommen zu wollen. Sogar auf eigene Kosten. Denn es sei nicht nur eines der bedeutendsten Griechenlands, sondern auch ein
European Film Award nominierendes. Davon gibt es in jedem europäischen Land nur eines, recherchierte ich.
Wie angekündigt erwartet mich ein Fahrer samt vorgehaltenem Plakat. „Moin! My name is Gerrit“ – „No English.“ – „Gerrit.“ Ich deute mit dem Finger auf mich. Er versteht nicht. „No English“. All right.
Er führt mich zu einem Kleinbus. Hände und Füße bedeuten mir irgendwie noch warten zu müssen, und schon ist er wieder im Terminal verschwunden.
Ich mache es mir bequem und esse den letzen Apfel. Beifahrertür geöffnet, Stiefel aus und Füße durch das geöffnete Fenster in die griechische Luft des Parkplatzes gestreckt. Träume von der letzten Milonga-Nacht in Neapel. Die tollen Umarmungen der Italienerinnen. Dem energetischen Tanz von Peppe. Irgendwann dann mit dem Nachtbus durch die Stadt, dann den ersten Zug nach Rom. Schwarz und ohne Schlaf. Irgendwann döse ich ein.
„Hello! I’m Pawel!“ schreit jemand, als die Schiebetür aufgerissen wird. „I’m from Poland, where are you from?“ – und weitere, weitaus komplizierte Fragen. Jemand tut seinen Rucksack nach hinten. Ich antworte verpennt aus tiefem Unterbewusstsein. Es nervt, bin ganz woanders, weiß nicht wo. Die Sonne steht tiefer. Muss mindestens zwei Stunden weg gewesen sein, mittlerweile langelegt auf der hinteren Sitzreihe. Wir stehen immer noch am Flughafen.
Zwei weitere Polen und drei Stunden später rasen wir über die Straßen nach Drama. Der Fahrer, der sich nicht auf Englisch vorstellen kann, schneidet die Kurven wie beim Formel 1. Matt ergebe ich mich dem Beifahrersitz. Spannende Seenlandschaften und irre Wolken fliegen vorbei, die Sonne bricht durch. Ein krasser Platzregen. Wir rasen. Die Polen reden polnisch. Etwas Sorge habe ich schon.
Zerfallene Häuser und eine verlassene Stimmung wie in den Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns ... und ein großes Plakat mit griechischen Lettern vor einer neu gestrichenen Fassade. Anscheinend sollen wir aussteigen. Mich überfliegt die Angst der richtigen Antizipation: scheiße, dies ist ein Pupsfestival. Ich nehme meine Rucksäcke hinten raus, der Fahrer gibt schonmal Gas. „Stop!“
Im Festivalcenter dann die erste von vielen weiteren Überraschungen: begeistert wird sich unser an runden Caféhaustischen unter riesigen Bananenstaudenblättern angenommen, wird uns der Festivalbag samt 1,5 Zentimeter dickem Hochglanzkatalog in die Hände gedrückt und erklärt, wie wir die Coupons für die diversen Restaurants zu benutzen hätten.
Ins Hotel werden wir gebracht. Mit neuem Fahrer. Deutlich sanfter. Hotel Emporiko. Ein paar hundert Meter vom Festivalcenter entfernt. Goldenes Kingsize-Bed, Balkon. Nice. Direkt zu Fuß ins Restaurant Nr. 4 (es sei das Beste). Und dies wird es die Tage über auch bleiben. Fleischgerichte im Übermaß, samt Salat und obligatorischem Eis als Nachtisch – macht dann ein Coupon. Ich habe davon für jeden meiner Tage hier zwei. Der griechische Kaffee? Inklusive.
Und so ergibt sich unser Ritual: Frühstück im Hotel skippen und lange pennen, Lunch im Festivalrestaurant Nr. 4 ein paar Meter neben dem Festivalcenter (romantisch am Fluss des Parkoo Agias Varvaras, der echt mal schön ist mit seiner verästelten Flusslandschaft mit glasklarem Wasser), auf zu den Screenings im OLYMPIA (Nationale Blöcke: gemischte Qualität, aber deutlich die ökonomische Stimmung reflektierend; International Competition: durchweg hohe Qualität; weitere Segmente: Schwerpunkt Polen, Kinderfilme und die European Film Award Reihe des Vorjahres in Form von drei Blöcken, dazu Pitching-Sessions in englischer Sprache und weiteres Rahmenprogramm); spät Abends nach dem Gucken von 4 Stunden Kurzfilm ein zweites Mal zum proppevollen Restaurant am Fluss (die Griechen essen spät), gegrillten Oktopuss oder doch wieder lieber gegrillte Hähnchenstücke in Senfsauce wählen, neue Regisseure aus England, der Ukraine oder sonstwoher kennenlernen, ihre Filme kritisieren und später feststellen, sie doch nicht gesehen zu haben; kurz ins Hotel, duschen, frisch machen und ab ins Fika, dem After-Hour-Festivaltreffpunkt im hippen Kneipenviertel Dramas. Dem einzigen. Laubenartiges sitzen an kleinen Tischen und auf den Treppenstufen bei von griechischen
Hipstern stylisch aufgelegter Musik, deren Vollbärte mir endlich mal gerechtfertigt vorkommen. Vermutlich weil sie mich an Sokrates erinnern. Und irgendwann dann die paar Meter ins Hotel wanken, den Kreislauf schließen und zu Mittag des nächsten Tages neu beginnen.
Das alles ist viel toller, als ich dachte. Leider gibt es nach den Screenings keine Q&As. Aber immerhin werden wir anwesenden Regisseure kurz zum Aufstehen aufgefordert. Und am nächsten Tag eines Screenings gibt es um Punkt 12 Uhr Mittags im Festivalcenter unter den Bananenstauden immer einen obligatorischen Talk vor griechischen Filmschaffenden. Mit Coffee to go in zitternden Händen sitze ich da und nehme Lob entgegen. Schön. Ein großer bärtiger Kerl mit langen grauen Haaren ergreift das Mikro und will Hamburg in den Bildern wiedererkannt haben. Ich glaube es kaum, sage aber: „Amazing. I appreciate that. Thank you.“ Später sitzt er zufällig neben mir im Kino. Und meint, er sei berühmt. Wieder drei Tage später bei der Awards Ceremony bekommt er einen Sonderpreis. Wieder zu Hause google ich ihn. Ich kannte weder ihn noch eines seiner Werke.
Noch ein paar Worte zur Award Ceremony. Überraschend. Das volle Aufgebot. Würdenträger (u.a. der Bürgermeister Dramas und die Kulturministerin Griechenlands, die in einer Dankesrede eines jungen Griechen härter angegriffen wird, als es der Rahmen bietet, was mir imponiert), Lifeband im Anschluss an die Verleihung, Fressparkour (mit viel Fleisch), tolle Moderation von very entertaining bis
etwas politisch. Und noch nie habe ich zu Beginn und mit Bangen mehr zu vergebene Preise in Form von Zertifikaten und Statuen neben dem Pult gesehen, und noch nie vergingen dennoch knappe drei Stunden Selbstbefeierung schneller.
Und mittendrin, erhofft doch unerwartet, die Worte einer Laudatorin. Die Wortfetzen lösen sofort einen Blutstau in meinem Kopf aus. „... teenager ... online ... compelling ... tender ... and the winner of the European Film Award-Nomination is ... STILL GOT LIVES_ by Jan-Gerrit Seyler!“
Das ist mal so richtig geil. Eingetroffen wie ersehnt. Und ohne Frage der beste Preis. Ich kann es kaum fassen und platze vor Aufregung. Beinahe. Und bedanke mich mit den einzigen drei Worten Griechisch, die ich die Tage zu erlernen vermochte: „σας ευχαριστώ! σας ευχαριστώ! σας ευχαριστώ!“
Warme Luft strömt mir entgegen, als meine Knie beim Runtergehen der Flugzeugtreppe auf dem Flugfeld in Thessaloniki knacken. RyanAir ist eng. Ich bin verspannt und gespannt.
Diesmal: Griechenland. In die Stadt Drama. Auf das International Shortfilm Festival in Drama. Der im Vorraus geführte Mailaustausch lässt Gutes erhoffen. Die Website eher nicht. Gespannt bin ich auf das Team, die Screenings, Sideevents. Erwartungshaltung? Routinemäßig und festivalerfahren kaum bis gar nicht vorhanden.
Das „International“ im Titel ist noch lange kein Garant. Jedes noch so kleine Pupsfestival irgendeiner unbekannten Stadt irgendeines verlassenen Landstrichs Mecklenburg-Vorpommerns kann sich z.B. „International Festival of Am-Arsch-der-Welt“ nennen. Solange es Filme aus anderen Ländern einlädt.
Auf ein paar hat es mich bereits verschlagen. Es kann sehr charmant und familiär zugehen. Oder einfach nur öde sein. Das ISFFID könnte allerdings bedeutender sein, auch wenn die rudimentär gestaltete Website das Gegenteil vermuten lässt. Aber immerhin lässt mich die AG Kurzfilm hinreisen, und das Festival hat im Mailverkehr betont, dass es von Interesse für mich sei, kommen zu wollen. Sogar auf eigene Kosten. Denn es sei nicht nur eines der bedeutendsten Griechenlands, sondern auch ein
European Film Award nominierendes. Davon gibt es in jedem europäischen Land nur eines, recherchierte ich.
Wie angekündigt erwartet mich ein Fahrer samt vorgehaltenem Plakat. „Moin! My name is Gerrit“ – „No English.“ – „Gerrit.“ Ich deute mit dem Finger auf mich. Er versteht nicht. „No English“. All right.
Er führt mich zu einem Kleinbus. Hände und Füße bedeuten mir irgendwie noch warten zu müssen, und schon ist er wieder im Terminal verschwunden.
Ich mache es mir bequem und esse den letzen Apfel. Beifahrertür geöffnet, Stiefel aus und Füße durch das geöffnete Fenster in die griechische Luft des Parkplatzes gestreckt. Träume von der letzten Milonga-Nacht in Neapel. Die tollen Umarmungen der Italienerinnen. Dem energetischen Tanz von Peppe. Irgendwann dann mit dem Nachtbus durch die Stadt, dann den ersten Zug nach Rom. Schwarz und ohne Schlaf. Irgendwann döse ich ein.
„Hello! I’m Pawel!“ schreit jemand, als die Schiebetür aufgerissen wird. „I’m from Poland, where are you from?“ – und weitere, weitaus komplizierte Fragen. Jemand tut seinen Rucksack nach hinten. Ich antworte verpennt aus tiefem Unterbewusstsein. Es nervt, bin ganz woanders, weiß nicht wo. Die Sonne steht tiefer. Muss mindestens zwei Stunden weg gewesen sein, mittlerweile langelegt auf der hinteren Sitzreihe. Wir stehen immer noch am Flughafen.
Zwei weitere Polen und drei Stunden später rasen wir über die Straßen nach Drama. Der Fahrer, der sich nicht auf Englisch vorstellen kann, schneidet die Kurven wie beim Formel 1. Matt ergebe ich mich dem Beifahrersitz. Spannende Seenlandschaften und irre Wolken fliegen vorbei, die Sonne bricht durch. Ein krasser Platzregen. Wir rasen. Die Polen reden polnisch. Etwas Sorge habe ich schon.
Zerfallene Häuser und eine verlassene Stimmung wie in den Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns ... und ein großes Plakat mit griechischen Lettern vor einer neu gestrichenen Fassade. Anscheinend sollen wir aussteigen. Mich überfliegt die Angst der richtigen Antizipation: scheiße, dies ist ein Pupsfestival. Ich nehme meine Rucksäcke hinten raus, der Fahrer gibt schonmal Gas. „Stop!“
Im Festivalcenter dann die erste von vielen weiteren Überraschungen: begeistert wird sich unser an runden Caféhaustischen unter riesigen Bananenstaudenblättern angenommen, wird uns der Festivalbag samt 1,5 Zentimeter dickem Hochglanzkatalog in die Hände gedrückt und erklärt, wie wir die Coupons für die diversen Restaurants zu benutzen hätten.
Ins Hotel werden wir gebracht. Mit neuem Fahrer. Deutlich sanfter. Hotel Emporiko. Ein paar hundert Meter vom Festivalcenter entfernt. Goldenes Kingsize-Bed, Balkon. Nice. Direkt zu Fuß ins Restaurant Nr. 4 (es sei das Beste). Und dies wird es die Tage über auch bleiben. Fleischgerichte im Übermaß, samt Salat und obligatorischem Eis als Nachtisch – macht dann ein Coupon. Ich habe davon für jeden meiner Tage hier zwei. Der griechische Kaffee? Inklusive.
Und so ergibt sich unser Ritual: Frühstück im Hotel skippen und lange pennen, Lunch im Festivalrestaurant Nr. 4 ein paar Meter neben dem Festivalcenter (romantisch am Fluss des Parkoo Agias Varvaras, der echt mal schön ist mit seiner verästelten Flusslandschaft mit glasklarem Wasser), auf zu den Screenings im OLYMPIA (Nationale Blöcke: gemischte Qualität, aber deutlich die ökonomische Stimmung reflektierend; International Competition: durchweg hohe Qualität; weitere Segmente: Schwerpunkt Polen, Kinderfilme und die European Film Award Reihe des Vorjahres in Form von drei Blöcken, dazu Pitching-Sessions in englischer Sprache und weiteres Rahmenprogramm); spät Abends nach dem Gucken von 4 Stunden Kurzfilm ein zweites Mal zum proppevollen Restaurant am Fluss (die Griechen essen spät), gegrillten Oktopuss oder doch wieder lieber gegrillte Hähnchenstücke in Senfsauce wählen, neue Regisseure aus England, der Ukraine oder sonstwoher kennenlernen, ihre Filme kritisieren und später feststellen, sie doch nicht gesehen zu haben; kurz ins Hotel, duschen, frisch machen und ab ins Fika, dem After-Hour-Festivaltreffpunkt im hippen Kneipenviertel Dramas. Dem einzigen. Laubenartiges sitzen an kleinen Tischen und auf den Treppenstufen bei von griechischen
Hipstern stylisch aufgelegter Musik, deren Vollbärte mir endlich mal gerechtfertigt vorkommen. Vermutlich weil sie mich an Sokrates erinnern. Und irgendwann dann die paar Meter ins Hotel wanken, den Kreislauf schließen und zu Mittag des nächsten Tages neu beginnen.
Das alles ist viel toller, als ich dachte. Leider gibt es nach den Screenings keine Q&As. Aber immerhin werden wir anwesenden Regisseure kurz zum Aufstehen aufgefordert. Und am nächsten Tag eines Screenings gibt es um Punkt 12 Uhr Mittags im Festivalcenter unter den Bananenstauden immer einen obligatorischen Talk vor griechischen Filmschaffenden. Mit Coffee to go in zitternden Händen sitze ich da und nehme Lob entgegen. Schön. Ein großer bärtiger Kerl mit langen grauen Haaren ergreift das Mikro und will Hamburg in den Bildern wiedererkannt haben. Ich glaube es kaum, sage aber: „Amazing. I appreciate that. Thank you.“ Später sitzt er zufällig neben mir im Kino. Und meint, er sei berühmt. Wieder drei Tage später bei der Awards Ceremony bekommt er einen Sonderpreis. Wieder zu Hause google ich ihn. Ich kannte weder ihn noch eines seiner Werke.
Noch ein paar Worte zur Award Ceremony. Überraschend. Das volle Aufgebot. Würdenträger (u.a. der Bürgermeister Dramas und die Kulturministerin Griechenlands, die in einer Dankesrede eines jungen Griechen härter angegriffen wird, als es der Rahmen bietet, was mir imponiert), Lifeband im Anschluss an die Verleihung, Fressparkour (mit viel Fleisch), tolle Moderation von very entertaining bis
etwas politisch. Und noch nie habe ich zu Beginn und mit Bangen mehr zu vergebene Preise in Form von Zertifikaten und Statuen neben dem Pult gesehen, und noch nie vergingen dennoch knappe drei Stunden Selbstbefeierung schneller.
Und mittendrin, erhofft doch unerwartet, die Worte einer Laudatorin. Die Wortfetzen lösen sofort einen Blutstau in meinem Kopf aus. „... teenager ... online ... compelling ... tender ... and the winner of the European Film Award-Nomination is ... STILL GOT LIVES_ by Jan-Gerrit Seyler!“
Das ist mal so richtig geil. Eingetroffen wie ersehnt. Und ohne Frage der beste Preis. Ich kann es kaum fassen und platze vor Aufregung. Beinahe. Und bedanke mich mit den einzigen drei Worten Griechisch, die ich die Tage zu erlernen vermochte: „σας ευχαριστώ! σας ευχαριστώ! σας ευχαριστώ!“