Ich fahre mit der Fähre von Tallinn nach Helsinki. Die Ostsee ist zugefroren. Die Fähre arbeitet sich wie ein Eisbrecher voran. In Helsinki sind es -12 Grad. Ich bin eingepackt wie ein Eskimo, die Finnen laufen mit offener Jacke und T-Shirt durch die Gegend. Mit dem Zug geht es in knapp 2 Stunden weiter durch eine Schneelandschaft nach Tampere. Man kann es auch deutlich leichter haben und direkt nach Tampere (über Helsinki) fliegen. Die Kosten sind allerdings die gleichen und es entgeht einem eine interessante Anreise. Insofern mein Tipp, wenn man etwas mehr Zeit zur Verfügung und Lust auf Tallinn hat.
Jetzt aber zu Tampere: Die Stadt ist klein aber durchaus charmant. Alles ist fußläufig erreichbar: Hotel, Festivalkinos, Partylocation (in der jeden Abend gefeiert wird), ein paar nette Cafés, eine schöne Markthalle (in der man günstig essen kann) und ein riesiger zugefrorener See (auf dem man Schlittschuhlaufen oder spazieren kann).
Das Festival zahlt die Unterkunft in einem guten Hotel, in dem auch ein Großteil der anderen Festivalgäste untergebracht ist. Bei der Akkreditierung bekommt man neben der Einladung zum legendären Saunaabend, den man keineswegs verpassen sollte, und einigen anderen Veranstaltungen (Empfänge, Diskussionen, Exkursionen) auch ein paar Essensgutscheine, die man im Hotel oder in der urigen Brauerei neben dem Kino einlösen kann.
Das Festival selbst bietet ein richtig gutes Programm, vor allem im internationalen Wettbewerb. Daneben ist aber auch ein Blick in den nationalen Wettbewerb und die zahlreichen Sonderprogramme interessant. Auffallend ist eine große Vielseitigkeit, was die Inhalte der Filme aber auch was die filmischen Ausdrucksformen betrifft. Klassisches Erzählkino steht hier neben Dokumentarfilmen, Animationsfilmen und auch auffällig vielen Experimentalfilmen bzw. Filmen mit experimentellem Ansatz. Dabei sind die Blöcke wirklich gut zusammengestellt, auch was die Abfolge der Filme betrifft.
Mein Film läuft in einem thematischen Block mit dem Titel „Neokolonialismus“. Im Anschluss an die erste Vorstellung findet eine etwas verunglückte - weil zu theoretisch angelegte - Podiumsdiskussion statt, die von einem Kulturfonds aus Helsinki veranstaltet wird. In der Regel findet aber nach den Filmen ein gut geführtes normales Filmgespräch statt, das dann für meinen Film bei der zweiten Vorstellung am Samstag nachgeholt wird.
Insgesamt ist Tampere aus meiner Sicht ein tolles Festival mit einem guten Programm, vielen Möglichkeiten zum Austausch mit anderen Filmschaffenden und der Gelegenheit, endlich mal wieder einen echten Winter zu erleben. Und die besten Kontakte entstehen - wie es sich für Finnland gehört - definitiv in der Sauna!
https://tamperefilmfestival.fi/