Realtime International Film Festival (RTF) 2019
Mein Kurzdokumentarfilm Va-Bene, der das Thema Transgender in Afrika mit einem ghanaischen Protagonisten aufgreift, wurde vom RTF ausgewählt, was mich sehr freute. Homosexualität und Transsexualität sind Themen, die in afrikanischen Ländern in jeder Bildungsschicht zu sehr viel Abneigung und Skepsis führen. Ich war dementsprechend aufgeregt meine Afrikapremiere in Lagos zu feiern. Die Auswahl meines Films bestätigt die Offenheit, Toleranz und Antidiskriminierungsstrategie, mit der das Festival wirbt. Die Filmauswahl, die ich dann zu sehen bekam, war eine Mischung aus sehr fortschrittlich denkend und künstlerisch anspruchsvollen Filmen, wie auch kleinen lokalen Produktionen, afrikanischen (romantischen) Komödien oder Actionfilmen. Es gab kein Dokumentarfilmprogramm, sondern jedes Programm war eine wilde Mischung aus allen Genres. Sowohl Kurz-als auch mittellange und Langfilme waren vertreten.
Gästebetreuung
Ich wurde vom Flughafen abgeholt (und direkt zu meinem Screening gefahren). Das Hotel war gut und direkt auf dem Hauptfestivalgelände. Im Gegensatz zu einigen Vierteln in Lagos ist die Nachbarschaft (gated community) sehr sicher. Allerdings war ich froh auch einige Tage außerhalb zu schlafen und einen anderen Teil von Lagos kennenzulernen. (Achtung: von public transport wird abgeraten und UBER wird teuer, da die Entfernungen sehr lang sein können: zwischen 5 und 10 Euro pro einfache Fahrt.)
Von Anfang an herrschte eine familiäre Atmosphäre und man kannte die Festivalleitung und konnte mit jeder Frage oder Wehwehchen zu ihr gehen. Einige internationale Filmemacher*innen wurden per Skype zugeschaltet, was technisch mal besser und mal schlechter funktionierte. Entgegen meiner Erwartung nach Lesen der Website, die den Anschein erweckte viele internationale Gäste zu begrüßen, war ich mit einer holländischen Filmemacherin, die Einzige aus Europa.
Q&As
Am ersten Abend war ich gemeinsam mit 5 weiteren Filmemachern auf der Bühne und der Host leitete kein Gespräch sondern ließ das Publikum fragen, was für uns Filmemacher*innen unbefriedigend war, denn das Publikum war nach über 20 Kurzfilmen nicht sehr aufmerksam und wusste in meinem Fall gar nicht welcher mein Film war und fragte dementsprechend nichts! An den anderen beiden Screening-Tagen, wurde ich allerdings direkt nach dem Film auf die Bühne gerufen und es gab hitzige Debatten. Mein Film und Thema gab sowohl Anlass für Unverständnis und Ablehnung sowie Standing Ovations, Anerkennung, Interesse und Inspiration. Während des Festivals kamen sehr viele Besucher*innen (die meisten sind selbst Filmemacher*innen) zu mir und wollten über das Thema reden und meinen Zugang, meine Meinung und meine Arbeitsweise kennenlernen. Ich war die Filmemacherin mit dem „controversial film“ und führte einige Interviews mit Bloggern und online Zeitschriften. Auch Menschen, die dem Thema Transsexualität nicht zugeneigt sind, waren stets respektvoll und freundlich. Die Diskussionskultur war sehr angenehm und es war sehr wichtig, dass ich da war, um über den Film zu sprechen.
Networking
Ich konnte sehr viele (junge) Filmemacher*innen kennenlernen und einige Kontakte knüpfen. Allerdings waren kaum für mich relevante Produzent*innen oder Kooperationspartner*innen und außerafrikanische Vertreter*innen vor Ort. Das Publikum ist hauptsächlich in Nigeria in der Filmproduktion tätig.
Workshops
Prominente Schauspieler*innen und Regisseur*innen, hauptsächlich aus Nigeria führten an 5 Tagen am Morgen Workshops. Der Workshop (creative photography), den ich machen wollte, fiel leider aus, also landete ich in einem Directing Workshop, der zu spät begann und trotzdem pünktlich aufhörte, sodass der Vortragende mitten im Sprechen unterbrochen wurde. Andere nigerianische Filmemacher*innen und Schauspieler*innen lobten aber die Workshops, an denen sie teilgenommen hatten. Auch wenn man sich nicht angemeldet hatte, war die Festivalleitung kulant und ließ einen mitmachen.
Ich selbst war Teil eines Panels über Diversität im Film, das sehr gut besucht war. Leider bekam ich erst kurz vorher von dem Panel mit, was für einige Filmemacher ggf. zu kurzfristig wäre.
Qualität der Screenings
Es gab unterschiedliche Screening Orte. Lediglich zur Eröffnung und zum Abschluss waren wir in einem Kino. Die anderen Screenings fanden auf kleineren Leinwänden statt, die Bild- und Tonqualität war nicht mit der im Kino zu vergleichen, das störte allerdings nur uns verwöhnte Europäer so richtig... In einem Screeningraum war gleichzeitig die Akkreditierung, was man sich in Deutschland nicht vorstellen kann, aber ab und zu musste eben improvisiert werden und sowieso ist das Publikum bei den Screenings nicht in stiller Kontemplation, sondern genießt lautstark: kommentiert, klatscht, ruft und stöhnt.
Fazit
Ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit bekam, meinen Kurzfilm in Lagos vorzustellen. Mein Film sollte unbedingt afrikanisches Publikum erreichen und benötigte Diskussion, Erklärung und persönliche Gespräche. Das Festival war manchmal etwas unorganisiert oder qualitativ nicht mit den europäischen Standards vergleichbar, aber es war auch sehr familiär, witzig, respektvoll und inspirierend. Es war eine unvergessliche Erfahrung!