Cairo Video Festival 2019
Nach 2013 und 2014 bin ich vom Cairo Video Festival nun schon zum dritten Mal mit einem Film eingeladen worden, und mir war klar dass wenn nicht jetzt, ich wohl gar nie persönlich erscheinen würde. Also los, Yallah!
Die mittlerweile neunte Ausgabe des Festivals in der ägyptischen 20-Millionen-Metropole Kairo fand dieses Jahres vom 9. bis 30. September statt, also über einen verhältnismäßig langen Zeitraum, verteilt über das ganze innere Stadtgebiet. Screenings und Präsentationen in verschiedenen Venues, vom Buchladen über Shopping-Malls bis zu "richtigen" Kinosälen. Als Zentrum und organisatorischer Ausgangspunkt des Festivals dienen die Räume des Kollektivs "Medrar for Contemporary Art", auch gleichzeitig genutzt für die Videoart-Ausstellung des Programms, und ein guter Ort um sich für kurze Zeit in eine klimatisierte Umgebung zurückziehen zu können.
Die Reise und der Aufenthalt sind eine Herausforderung. Ich komme spät an, an einem Donnerstag, und springe einfach rein, in mein Abenteuer. Beim Anflug auf Kairo sieht die Stadt von oben aus wie ein einziges Labyrinth aus graubraunen Farbtönen. Schon beim Anblick dieser Szenerie wird mir heiß. Unten dann: auch dezent andere Farben, fremde Menschen, Geräusche und Gerüche.
Das vom Festival für mich im Vorfeld organisierte Taxi wartet draußen, lustig meinen Künstlernamen - Kuesti Fraun - auf einem Schild zu lesen. Und es ist tatsächlich heiß (obwohl das für dortige Verhältnisse im September eher als kühl empfunden wird), stickig, laut, dreckig, unübersichtlich und vieles mehr. Also ein Eintauchen in eine völlig andere Welt. Einfach wunderbar.
Ich erzähle im Hotel vom Grund meiner Reise, die Menschen haben auch schon davon gehört, sind interessiert. Am Abend noch ein Screening, ich treffe die Festivalmacher und eine Kollegin aus Österreich, gebe ein Interview. Es ist aber alles noch zu aufregend, ich bin zu kaputt und ziehe mich erst mal zurück.
Der nächste Tag, Freitag ist der neue Sonntag, für mich, nach islamischen Gepflogenheiten der Tag an denen die Geschäfte verhältnismäßig ruhen. Ich treffe kurz die Festivalmacher, streife durch die Stadt, zu Fuß, will Geld sparen, obwohl Taxi und Verpflegung auf der Straße günstig sind. Die Sonne steht hoch, während die Stadt unentwegt lärmt und aus den Lautsprechern der Minarette spricht.
Am Abend kommt es zu Demonstrationen direkt vor meinem Hotel. Nicht wegen meines Films - es ist der 2. Arabische Frühling, der im vollen Gange ist. Proteste gegen den aktuellen Präsidenten. Tumulte und Sirenengeheul. Als Ausländer, zudem noch nie vorher in Nordafrika, wird mir etwas unwohl. Was wird hier noch geschehen, wo führt das hin? Die Nacht bleibt unruhig und laut, ich dokumentiere ein wenig mit der Kamera, bis sich der Tränengasdunst verzieht.
Samstag dann, mein Screening. Das Kino in dem wir sind erweist sich als Oase. Hier ist es kühl, und wieder einmal ganz andere Leute als die die ich über den Tag so sehe. Der Saal ist voll. Wir sehen frische Filme, aus Ägypten, dem Libanon, aus Frankreich und Deutschland. Experimentell, poetisch, unprätentiös, aber auch immer sozialpolitisch reflektierend. Das Programm ist lang, und gut.
Anschließend geht es in eine Bar auf einen Drink, in einer dieser 20er Jahre Häuser die es in der Innenstadt sehr häufig gibt. Das Mondäne überwiegt. Holzvertäfelungen und uralte Aufzüge. An jedem Eingang Metalldetektoren. Mir schwant, das sehen wir auch bald vermehrt in Deutschland. Die Gespräche sind gut. Ich trinke ein Bier, das erste seit Tagen.
Den Sonntag nutze ich um nochmals tiefer in die Stadt zu dringen. Man weiß ja nie, vielleicht bin ich nur einmal im Leben hier. Mein Smartphone nimmt unentwegt auf, Bilder, Töne, und mit einem ständigen Blick auf den digitalen Stadtplan ist alles irgendwie gangbar, aber auch nicht leicht. Kairo ist groß, nicht möglich alles zu sehen, aber unendlich einfach, sich zu verlieren.
Montag dann zurück nach Deutschland, im Gepäck unendlich viele Eindrücke, ein gutes Gefühl, Material und Ideen für neue Dinge. Kontakte sind geknüpft, Ansichten getauscht, Vorurteile widerlegt, Klischees bestätigt, wieder gelernt.
Am Wiener Flughafen erblicke ich eine Frau in Vollverschleierung, und merke wie das, was für ein paar wenige Tage völlig normal war, wieder zur Ausnahme wird. Wer die Chance hat, hier herzukommen, sei es um einen Film zu präsentieren oder aus anderen Gründen, und keine Herausforderungen scheut, sollte dies tun. Aus dem Material meiner Reise ist neben vielen Fotos auch eine kleiner Film ("Kairo im Herbst") entstanden, ich mag es, wenn sich eins aus dem anderen ergibt.
Vielen Dank für die Unterstützung durch die AG Kurzfilm und German Films, insbesondere an Lisa Hering und Martin Scheuring.