Taiwan International Video Art Exhibition
Die Taiwan International Video Art Exhibition, die diesem Jahr unter dem kuratorischen Motto Living Togetherness stattfand, ist eine der wichtigsten Plattformen für zeitgenössische Videokunst in Asien. Das seit über 20 Jahren als Biennale (alle 2 Jahre) im Hong-Gah Museum Taipeh stattfindende Event kuratiert bewusst etwa 60 Prozent des Programmes über einen Open Call. Meine immersive Vierkanal-Installation Memoria, die für diese Ausgabe von den beiden Kuratorinnen Zoe Yeh und Shi Yu Hsu ausgewählt wurde, ist eine Weiterführung meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Aktualität der Vorhersagen der Cyberpunk-Science-Fiction-Literatur, die in den 1980er und 1990er Jahren nicht nur unsere Vorstellung des Internets geprägt hat, sondern auch den Siegeszug eines sich globalisierenden Kapitalismus ausgemalt hat. Memoria ist in dieser Hinsicht eine Fortsetzung meines Kurzfilms Platform, der 2022 für den deutschen Kurzfilmpreis nominiert war und in die kurz.film.tour. der AG Kurzfilm aufgenommen wurde.
Die Arbeit verwebt zwei Erzählstränge miteinander: die dystopische Zukunftsvision in William Gibsons bahnbrechender Cyberpunk-Kurzgeschichte Johnny Mnemonic von 1981, und die Realität des kubanischen Untergrund-Datenverteilungsnetzwerks El Paquete Semanal, mit dem die Kubaner*innen die anhaltenden Beschränkungen des Internetzugangs umgehen, die die kubanische Regierung aus Angst vor Informations- und Meinungsfreiheit implementiert hat. Diese alternative Infrastruktur deckt die gesamte Insel ab und bietet der Bevölkerung Zugang zu globalen Medieninhalten wie raubkopierte Filme, Fernsehsendungen, Musik, Software und Handy-Apps. Rivalisierende Kompilierstudios, die so genannten casas matrices, organisieren das tägliche Herunterladen großer Datenmengen durch ein Netzwerk von Personen, die für staatliche Einrichtungen, Universitäten oder Touristenhotels arbeiten und somit privilegierten Zugang zur offiziellen Internetinfrastruktur haben. Diese Daten werden dann in einer wiederkehrenden Struktur von Dateien und Ordnern akribisch organisiert. Zusteller, so genannte Paqueteros (Paketverteiler), sorgen dafür, dass dieser Schatz an Inhalten auf Festplatten direkt zu den Kunden nach Hause geliefert wird.
Memoria macht sich Gibsons fiktive Geschichte eines Datenkuriers zu eigen und projiziert diese in Form eines dokumentarischen Remakes auf die zeitgenössische kubanische Medienrealität mit ihren alternativen Infrastrukturen des Datenaustauschs. Gibsons Johnny Mnemonic ist ein Datenhändler, der sich einer kybernetischen Operation unterzogen hat, bei der ihm ein Datenspeichersystem in sein Gehirn implantiert wurde. Diese biologische Aufwertung ermöglicht es ihm, als menschlicher Kanal für die Übermittlung hochsensibler digitaler Informationen zu dienen. Er verdient seinen bescheidenen Lebensunterhalt mit dem physischen Transport von geheimen Daten für Unternehmen, kriminelle Organisationen und wohlhabende Privatpersonen. Im Laufe der Geschichte findet er heraus, dass das neueste Datenpaket, das in sein Gehirn implantiert wurde, von der Yakuza gestohlen wurde, die ihn nun unerbittlich verfolgt.
Memoria untersucht, wie die Vorhersagen des Cyberpunk unsere heutige Realität prägen. Die Arbeit kontrastiert das imaginäre Internet der Cyberpunk-Literatur der 1980er Jahre mit der zeitgenössischen kubanischen Erfahrung des Internets als einem Konglomerat unterschiedlicher Horizonte technischer und sozialer Möglichkeiten.
Im Hong-Gah Museum wurde Memoria in einem eigenen Raum am Ende des Ausstellungsrundgangs installiert. In Absprache mit mir haben die Kuratorinnen als Bestuhlung des Raums Büro-Rollsessel gewählt, wie sie oft in kubanischen Datenkopierläden zu finden sind. Der 4.1. Sound der Installation wurde über 4 Speaker und einen Subwoofer abgespielt.
Für meinen Aufenthalt organisierten die beiden Kuratorinnen einen Ausstellungsrundgang mit anschließendem Artist Talk, zu dem sie (neben dem regulären Museumspublikum) auch Mitglieder der Indie-Filmszene der Stadt sowie Studierende des M.A. Programms in New Media Art eingeladen hatten, in dem Zoe Yeh unterrichtet. Während des Artist Talks hatte ich Gelegenheit, die konzeptuellen Hintergründe der Arbeit zu beleuchten, sowie den spezifischen kubanischen Medienkontext, von dem Memoria handelt zu erklären. Danach entwickelte sich eine spannende Diskussion über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Kuba und Taiwan, die beide, als Insel-Enklaven einen politischen und sozialen Gegenentwurf zum Imperium in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft verkörpern. Am Ende des Talks konnte ich noch meinen Kurzfilm Platform zeigen, der besonders von den anwesenden Filmemacher*innen mit großem Interesse aufgenommen wurde. Viele der Gäste zogen Vergleiche zu den Arbeiten des Taiwanesischen Videokünstlers Su Hui-Yu, der sich in seinen Filmen ebenfalls mit Zukunftsvisionen der Vergangenheit und deren Einflüssen auf unsere Gegenwart beschäftigt. Ich hatte gerade die Gelegenheit Su Hui-Yu auf der Transmediale in Berlin zu treffen, wo er seinen neuesten Film Future Shock präsentierte, der auf Alvin Tofflers gleichnamigem Buch von 1970 basiert). Zoe Yeh kündigte an, diese Fragen auch in ihrem Essay für den nach der Ausstellung erscheinenden Katalog der Ausstellung zu reflektieren.
Nach dem Vortrag luden die beiden Kuratorinnen mich, den Übersetzer, eine weitere anwesende Künstlerin, sowie die kuratorischen Assistent*innen dann noch in ein nahegelegenes Restaurant ein. In den folgenden Tagen hatte ich dann noch die Möglichkeit, gemeinsam mit Zoe Yeh die zeitgleich stattfindende Taipeh Biennale zu besuchen, die ebenfalls einen starken Fokus auf Film und Video hatte, und sich intensiv mit Taiwans gegenwärtiger geopolitischer Rolle im sich immer mehr verschärfenden Gegensatz zwischen China und den USA auseinandersetzt.
Besonders faszinierend war, dass mein Aufenthalt in Taipeh auch mit der Präsidentschaftswahl zusammenviel, die allgemein als eine Richtungswahl hinsichtlich der zukünftigen Beziehungen des Landes zu China verstanden wurde. Ich hatte konnte so aus nächster Nähe beobachten, wie die noch vergleichsweise junge Demokratie in Taiwan performativ zelebriert wird: Mit Straßenrallyes der Parteien, zahllosen öffentlichen Kundgebungen, und vor allem einer öffentlichen Stimmauszählung, bei der jede*r Bürger*in eingeladen ist, die Wahllokale zu besuchen und bei der Auszählung zuzuschauen. Taiwan, mit seiner ungewissen Zukunft und seiner prominenten Rolle als mit Abstand wichtigster Halbleiterhersteller der Welt, ein Ort also, an dem unsere globale technologische Zukunft buchstäblich materialisiert wird, war somit ein faszinierender Ort, um meine Arbeit vorzustellen und zu diskutieren.