Festival del Film Locarno 2017
Das Dickicht Drei soll also in Locarno laufen. Ich stehe am Küchenfenster, lege auf und kann es gar nicht so recht glauben. Ausgerechnet dieser Film, mit dem ich so gerungen hatte. Naja, ich freue mich über die schöne Bescherung und lade Steffen auf einen Crémant ein. Aus einem werden fünf.
Vollbepackt biegen wir mit dem VW-Bus auf die Autobahn. Neun Stunden bis ins Allgäu - das wird der erste Halt. Dann noch mal vier ins Tessin am nächsten Tag. Die Alpen vor San Bernardino sind schön und Helene, auf dem Beifahrersitz schäumt über. Wir haben noch nichts gebucht und merken schnell - alles ist voll. Am Maggia-Fluss findet sich doch ein Plätzchen auf einem Campingplatz. Der Fluss ist das Beste - eiskaltes Gebirgswasser sammelt sich in kleineren und größeren Becken zwischen den runden Felsblöcken. Die Haut brennt wenn man hineinspringt.
Dann Umzug nach Locarno. Der Campingplatz liegt am Stadtrand direkt am Lago Maggiore. Vor dem Frühstück schwimme ich eine Runde im See. Das Festival beginnt und ich hole meine Akkreditierung und das Programm im Gästebüro ab. Der Empfang ist sehr herzlich und man unterhält sich eine Weile. Unentschlossen schaue ich mir den Eröffnungsfilm auf der Piazza Grande an. Auf dem Platz stehen mehrere tausend Stühle - er biegt sich bananenförmig von der gigantischen Leinwand weg. Es ist schwer nicht beeindruckt zu sein. Der Film ist uninteressant und ich gehe etwas enttäuscht nach Hause. Am nächsten Tag versuche ich es noch einmal zusammen mit ein paar Freunden. Der Film ist toll und mit einem Mal entfaltet der Platz, die tausenden Zuschauer, der Film diese besondere Magie, von der man schon so viele zuvor hat schwärmen hören. Nach dem Film kaufen wir uns noch ein Bier, sitzen in der lauen Nacht am See und lassen die Füße ins Wasser baumeln.
Die Premiere. Ich und die vier andere Regisseure der fünf Filme im Tagesprogrammblock plus Produzenten werden zum Mittagessen eingeladen. In einem mediterranen Innenhof sind Pavillions aufgebaut in denen ein Buffet zubereitet wurde. Aber zuerst werden noch Fotos von jedem Regisseur gemacht. Das Essen sieht formidable aus - wir sind aber alle zu aufgeregt, um zu essen und jeder schlürft stattdessen vorsichtig an seinem Glas Weisswein herum. Steffen schenkt mir immer wieder nach.
Die Limousinen warten vor der Tür, wir steigen ein und werden zum Kino gefahren. Eine riesige Halle bestuhlt bis unter die Decke. Man wird vorgestellt und geht kurz auf die Bühne, dass jeder sehen kann wer man ist. Dann fangen die Filme an. Die Aufregung ist verflogen als der Film schließlich läuft. Die Projektion sieht toll aus und ich fühle mich wohl - am Schluss gabs guten Beifall und wir strömen wieder raus in die Hitze - geschafft.
Nach kurzer Verschnaufpause geht es weiter mit einer Diskussionsrunde aller Regisseure und Publikum. Alles stellt sich als sehr informell und entspannt heraus. Ich bekomme viele Fragen zu meinem Film - es macht Spass darüber zu diskutieren und ich bin zum ersten Mal in der Situation, den Film verteidigen zu müssen. Auch das tat gut. Ich werde gefragt ob mein Film eine pessimistische Warnung an die zukünftigen Generationen sei und ich damit Dokument über unsere emotionale Verhärtung abliegen wollte. Ich verneine die Frage und freue mich trotzdem insgeheim.
Am nächsten Tag habe ich einen Interview-Termin mit Deutschlandradiokultur. Ich bin ganz plötzlich ganz schrecklich aufgeregt. Nach ein paar Verhasplern geht’s dann aber ganz gut - glücklicherweise können sie Schneiden. Der Radiomann ist ganz angetan von dem Film und stellt recht schlaue Fragen.
Auf der Party im Paravento sehe ich viele Gesichter vergangener Festivals wieder. Lissabon, Angers, Sodankylä, Riga. Es fühlt sich fast ein bisschen heimelig an. Das Ganze ist am Ende doch recht überschaubar denke ich und hole mir noch ein Bier. Gegen vier Uhr morgens komme ich nach Hause.
Am nächsten Morgen reisen wir ab. Noch mal kurz im Maggiatal ins Eiswasser gesprungen und dann wieder zurück nach Deutschland. Ich fahre ganz beseelt - die meisten Leute, das weiss man jetzt, sieht man ohnehin irgendwann wieder. Eine schönere Premiere als in Locarno kann man sich fast nicht wünschen.
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