Istanbul International Short Film Festival 2018
Ürkütücü Transit (Spooky Transit) in Istanbul
Ich sitze im Flugzeug nach Istanbul auf dem Weg zum 29. Istanbuler Kurzfilm Festival. Mein Film SPUK TRANSIT läuft dort im internationalen Programm. Ich denke an meine erste nachhaltige türkische Filmbegegnung: SÜRÜ (1978) von Zeki Ökten und daran, dass ich eigentlich überhaupt keine Ahnung vom aktuellen Filmgeschehen in der Türkei habe. Nun bin ich sehr neugierig auf die türkische Kurzfilmwelt. Im Landeanflug huschen mir blitzartige Bilder durch den Kopf: Kaiser Konstantin im Todeskampf beim Untergang von Konstantinopel oder die Tür des saudischen Konsulats mit den gekreuzten Krummsäbeln, hinter der Khashoggi verschwand. Dann beendet ein Ruck die Tagträumerei, ich bin im Attatürk Airport gelandet. Die Schlangen vor den Grenzschaltern erscheinen endlos, aber die Kontrolle an sich ist zügig und problemlos.
So gelange ich gleich auf das Festival, das sich nahe dem Taksimplatz im französischen sowie im italienischen Kulturinstitut abspielt. Das Programm ist inhaltlich und genremäßig breit gefächert. Ich konzentriere mich auf die türkischen Filme, die mich wegen ihrer handwerklichen Vielfalt interessieren. Die Themen sind zeitgemäß ernst. So handeln die Filme von jenen syrischen Kriegsflüchtlingen, die es niemals ins gelobte Almanya schaffen werden und so in der ungemütlichen türkischen Arbeitswelt ihr Überleben suchen. Oder es sind die Samstags-Eltern vom Taksimplatz, die mit ihrem stillen Protest ihre verschwundenen Kinder im Traum herbeisehnen und dann durch das Erscheinen der Gefolterten schrecklich erwachen. Überrascht werde ich von den Umweltthemen wie dem der Luftverschmutzung. Mein Lieblingsfilm MAHLOTA (von Volkan Serdar) erzählt von einer jungen Aussteigerin, die gegen den Rat der Familie ein Leben ohne Mietkosten führt und sich in einer Höhle von Hasankeyf eingenistet hat. Aber die dortige Zauberlandschaft ist wegen eines umstrittenen Staudammprojektes dem Untergang geweiht. Als einsame Mahnerin versucht sie vergeblich die ansässige Bevölkerung vor der Zerstörung zu warnen. Ich bin erstaunt, dass diese mutigen Filme hier halbwegs öffentlich laufen und ich will hoffen, dass es wenigstens einige von Ihnen auch nach Westeuropa schaffen. Allerdings ist auch spürbar, dass dieses Festival in Schwierigkeiten steckt. Der Leiter Hilmi Etikan entschuldigt sich für die fehlenden Mittel und die Pannen bei den Untertiteln. Trotz schwindender finanzieller Unterstützung haben er und sein ehrenamtliches Team ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt. Für meinen eigenen Film hat Etikan auf unkomplizierte Weise den Vorführtermin geändert, da es sonst mit meiner Anwesenheit wegen des Abflugtermins nicht geklappt hätte. Die Vorführung mit anschließendem Publikumsgespräch, für die sogar ein deutscher Übersetzer erschienen ist, führt zu interessanten Gesprächen in dem angrenzenden Café. Hier erfahre ich etwas über die lebendige Istanbuler Filmszene sowie den Arbeitsalltag der türkischen Kurzfilm-Macher. Die anderen internationalen Filmemacher kommen hauptsächlich aus den Balkanländern. Auf Grund diverser Anschläge seit 2014 sind die Besucherzahlen aus Westeuropa in Istanbul angeblich stark zurückgegangen. Ich selbst sehe viele Russen und Gäste aus dem arabischen Raum.
Mit Englisch kommt man sprachlich in der Stadt und auch im Hotel nicht so richtig klar, aber unter den Filmleuten ist es die entscheidende Sprache. In allen größeren Gebäuden wie auch den Festivalorten gibt es Sicherheitskontrollen und Polizeikräfte zeigen im Stadtbild überall Präsenz. Das Internet ist zwar fast immer verfügbar, funktioniert aber nur eingeschränkt. So sind einige Webseiten wie z.B. Wikipedia nicht aufrufbar.
Istanbul beeindruckt durch seine überall sichtbare Geschichte, neben dem zahlreichen Altehrwürdigen findet sich ebenso das neuzeitlich Vergängliche. Vor der Kulisse des dramatischen Aufeinandertreffens der verschiedenen Kulturen, Religionen, Kontinente (auch tektonisch) kommt das 29. Istanbuler Internationale Kurzfilm Festival leise und unscheinbar daher. Ich kann es empfehlen, das Festivalteam bemüht sich zuvorkommend um die einzelnen internationalen Gäste und das Publikum ist wirklich filmbegeistert. Allerdings gibt es keine Workshops oder sonstige Extraveranstaltungen.
Auf dem Rückweg zum Flughafen mache ich noch Halt an der alten Stadtmauer des byzantinischen Konstantinopels. Auf 35 Kilometer Länge stehen hier die gewaltigen Ruinen der einst sichersten Grenzanlage der Welt. 1453 starb hier Kaiser Konstantin XI. im letzten Abwehrkampf. Sein Leichnam wurde, wie der von Khashoggi, nicht gefunden.
www.istanbulfilmfestival.com