Istanbul International Experimental Film Festival 2019
Wir flogen an einem Freitagmittag von Frankfurt nach Istanbul. Obwohl wir im Dunkeln in Kassel gestartet waren, sahen wir über dem Flughafen schon die Sonne untergehen. 2 Stunden Zeitverschiebung haben dafür den Vorteil, dass man abends länger durchhält. Mit dem Bus und dem Stau brauchten wir 3 Stunden vom Flughafen bis zu unserem Hostel auf der asiatischen Seite. Fünf Minuten nach unserer Ankunft standen wir mit unserem persönlichen Abholdienst und unserem Kollegen Jens Pecho aus dem „Emerging Artist Programm“ schon wieder auf der Straße. Wir bekamen direkt ein paar Schlucke Bier gereicht, während wir durch die engen Gassen und die dicken Katzen zum Hafen liefen. Mit der Fähre täglich von Asien nach Europa zu fahren, ist eine große Freude: zu Nahverkehrspreisen durch die Wellen zu jetten, als Teil des Alltags und des Lebensgefühls. Warme Brise, Gespräche über das novemberliche Berlin und Venedig unter Wasser.
Die Veranstaltung entpuppte sich als Musikfilmscreening, eine experimentelle Horrorfilmaufführung und ein Noise-Konzert. Viele eingeladene Filmemacher drängelten sich mit ihren Freibieren zum Rauchen auf den Balkon, aber auch dort war die Musik noch gut hörbar. Die meisten würden wir nicht wiedersehen, da die Attraktivität der Stadt das Interesse am Filmeschauen wohl deutlich zu mindern scheint.
Der Rückweg zum Hostel ist etwas abenteuerlicher, wenn man den Bosporus überqueren muss, denn es gibt ab Mitternacht keine Fähren mehr. Eine Empfehlung sind die Kollektivtaxis, die man wohl am Taksim Square finden kann. Nimmt man aus Ermangelung besseren Wissens ein normales Taxi wie wir, wird man gewarnt evtl. übermäßig abgerechnet zu werden. Wir haben diese Erfahrung nicht gemacht, aber gelernt, dass am Ende ein Aufschlag für das Überqueren der Brücke anfällt.
Das Viertel Kadiköy, in dem wir untergebracht waren, ist sehr zu empfehlen. Es handelt sich anscheinend um ein Studenten- und Künstlerviertel. Es gibt sowohl kleine romantische Straßen mit netten Cafés, als auch Straßen mit Barmeilen, auf denen vor allem am Wochenende der Bär steppt.
Einer der Hauptveranstaltungsorte des Festivals war ein kleines Programmkino im Keller einer Seitenstraße des Istiklal (Touristenhauptstraße in Beyoğlu, zwischen Taksim und Galataturm). Der Besitzer, gleichzeitig Betreiber und Barmann, hat viel Liebe in diesen Ort gesteckt und der Gegensatz zwischen der flickernden Touristenmeile und dem entspannten, geheimnisvollen Flair gibt einem das Gefühl, nicht nur im Keller, sondern im echten Underground angekommen zu sein. Nicht alle türkischen Filme waren untertitelt, dafür sahen wir aber einen sehr guten holländischen Experimental-Langfilm. Auf dem Rückweg erwischten wir noch die Metro, die unter dem Bosporus durchfährt.
Am folgenden Tag machten wir uns pünktlich auf den Weg, denn unser Screening war bereits mittags im Salt Museum. Dabei handelt es sich um einen schicken, weißen Neubau direkt an der Istiklal mit einem modernen, offenen Kinosaalbereich, den die Besucher währen der Vorstellung beliebig betreten und verlassen können. Die Zuschauerzahl hielt sich in Grenzen und es gab leider keine Fragen an uns, was die Q&A verkürzte. Direkt im Anschluss wurden wir allerdings gebeten, an einem Interview teilzunehmen. Das Material ist für eine Online-Plattform gedacht, auf der die Besucher die Möglichkeit haben, mehr über die Arbeitsweise verschiedener experimenteller Filmemacher zu erfahren. In einem Wintergarten des Museums wurden wir unter Palmen in Szene gesetzt und gaben unser Bestes, unsere Arbeitsweisen zu beschreiben. Am Abend trafen wir unsere Interviewer und das restliche Veranstaltungsteam zur Preisverleihung in einem sehr eleganten Lokal. Nach dem offiziellen Teil zogen wir mit den Veranstaltern und ein paar Filmemachern in einer großen Gruppe weiter durch die Straßen und endeten in einer sehr beeindruckenden Wohnung. Diese Zeit, war die des intensivsten Austausches. Wir lernten mehr über die politische Situation und die Rolle und Möglichkeiten eines experimentellen Filmfestivals in dieser Zeit. Das Team besteht aus sehr intelligenten und engagierten Menschen, die es schaffen, trotz aller Schwierigkeiten das Festival weiter wachsen zu lassen und neue Unterstützer zu finden. Die experimentelle Filmszene in Istanbul ist klein, aber das macht den Austausch umso intensiver und das Zusammenkommen umso dringender. Wir sind sehr gespannt, wie sich das Festival in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird.
https://istanbulexperimental.com