Chicago International Children's Film Festival 2012
Bericht von Jan Buttler (LILLI)
Im Sommer 2012 bekomme ich eine Mail aus Chicago, ob ich meinen Abschlussfilm LILLI von der filmArche nicht beim Children's Film Festival einreichen wolle. Sie waren über Adam McBean, der das Bühnenbild gestaltet hatte, auf den Film aufmerksam geworden. Ich antworte und werde tatsächlich eigeladen!
Mein angekündigtes Kommen wird in rückantwortenden Emails begeistert aufgenommen, auch ein Sondertarif für ein Vertragshotel in Aussicht gestellt, was mir aber immer noch sehr hoch erscheint, noch dazu, da das Hotel zwar in Festivalnähe aber in größerem Abstand zum Zentrum gelegen ist. Unterkünfte sind zahlreich, aber in Chicago nicht günstig zu finden. Was mir preiswert erscheint, liegt mehr als 40 Kilometer entfernt vom Zentrum. Ich entscheide also, die Reise als Jahresurlaub abzubuchen und finde schließlich ein relativ günstiges Studio mit Küche am Michigan See im Zentrum der Stadt für gut 100 € pro Nacht.
Das Festival gilt als das größte Kinderfilmfest Nordamerikas und genießt darüber hinaus das Privileg, den Hauptpreisträger in der Kategorie life action short film für die Oscar-Nominierung vorschlagen zu dürfen. Entsprechend groß ist also das Renommee, das von diesem Festival ausgeht. Mein persönlicher Rückschluss auf Hochglanz und Pomp und ein wenig Disney-Glamour bleibt allerdings unbegründet. Teppich – gleich welcher Farbe: Fehlanzeige!
Aus Downtown heraus sind es nur drei Stationen mit der Redline, um die beinahe übergangslose Grenze zwischen der bekannten Postkartenskyline aus Glas, Stahl und Beton im Zentrum zu den Wohnquartieren der hier lebenden Menschen zu überwinden. Hier fällt die Traufhöhe der Stadtarchitektur schnell auf Kleinstadtniveau herab. Inmitten einer Nachbarschaft, die mir im Flugzeug von einer Mitreisenden noch als posh, also als mehr als angesagt, angekündigt wurde, sich aber vor meinen Augen als äußerst niedergangsgefährdet darbietet, befindet sich das Hauptquartier von Facets Multi Media, der Organisationsplattform dieses Festivals: eine Reihe Büros im ersten Stock, darunter zwei Kinosäle und eine kleine Arthouse-Videothek. That's it!.
Von europäischen Festivals weiß ich, dass Filmschaffende zumeist bei ihrer Ankunft in Empfang genommen werden. Das ist hilfreich und ich mag das sehr, weil sich in fremden Städten nicht alles von selbst erschließt. In Chicago muss ich mir meinen Weg selbst suchen und finde schließlich Selbstvertrauen darin, dass ich letztlich nicht verloren gehe. Aber auch im Festivalbüro zeigt man sich überrascht. Niemand scheint mich erwartet zu haben. Ich bin irritiert.
Mit 247 Filmen erscheint das Programm eher wie eine Filmmesse, denn als Festival und weder Vertreter aus der Branche noch einen Filmmarkt gibt es hier. Das Kino ist klein. Vielleicht 100 Plätze, die zu keinem Zeitpunkt meiner Teilnahme besetzt wurden.
Man scheint hier an die Abwesenheit der Filmschaffenden gewohnt zu sein. Auch dass die Jurys in der closing ceremony die Ehrungen zumeist an stellvertretend herbeigerufenen Botschaftsangehörige überreicht werden, stört hier niemanden. Presse ist ohnehin nicht anwesend und Dingliches gibt es sowieso nicht zu verteilen. Als LILLI tatsächlich den zweiten Preis der Jury für best life action short drama erhält, stehe ich bei einer spontanen Dankesrede für einen Moment hilflos am Pult, weil ich nichts zum Festhalten habe. Auf meine spätere Nachfrage im Foyer, ob es den zumindest ein Zertifikat gäbe, verweist mich die Programmleiterin irritiert auf die Aktualisierung der Internetseite des Festivals, wo die Preisträger zu finden seien.
Aber der wahre Wert dessen, was das Festival leistet, zeigt sich vielleicht eher in der Arbeit, die Facets übers Jahr zwischen den Festivals leistet. Während in Deutschland Kinobildung erst seit wenigen Jahren und nur mit Mühe Eingang in die Schulen findet (dank der Arbeit von Lernort Kino, Vision Kino u.a.) ist die Auseinandersetzung mit Film und modernen Medien im Schulunterricht hier bereits seit 1975 ein engagiertes Arbeitsfeld. Viele der Kinder, die auch in der Vorführung zu LILLI saßen, sagt mir die Programmleiterin später, haben an Kursen teilgenommen, die sie befähigen sollen, filmische Erzählung zu verstehen und auf ihre Bedürfnisse hin zu befragen. Das Q&A zu LILLI fand ich großartig. Kinder (und Erwachsene) stellten kritische und detailreiche Fragen, die am wenigsten die oberflächlichen Aspekte des Filmemachens betrafen. Diese Kinder wussten ihre Fragen nicht nur nach der Geschichte sondern auch nach ihrer Deutungsweise zu befragen. Ich war sehr beeindruckt.
Am Ende: Chicago zu sehen ist beeindruckend. Die Architektur, die Museen, das soziale Leben, wie es sich für Außenstehende zeigt. Armut in beklemmender Weise und Pomp in stählernem Glanz. Ich wollte das sehen und bin froh dort gewesen zu sein. Das Festival hat seinen Wert, und auch wenn ich einer ihrer Hauptpreisträger wurde (und ich bin dankbar dafür!): Das Festival braucht unsere Anwesenheit nicht, weil es sie nicht sucht. Es genügt sich selbst.