Ann Arbor Film Festival 2018
1963 gegründet ist das Ann Arbor Film Festival das älteste Avantgarde- und Experimentalfilm-Festival in Nordamerika und genießt weltweit ein hohes Ansehen. Obwohl meine Filme schon auf etlichen Festivals in den USA gezeigt wurden, hatte ich bisher noch nie Gelegenheit, in die USA zu reisen. Als mein Film "Camera Threat" dann nach Ann Arbor eingeladen wurde, habe ich nicht lange gezögert, sondern sofort einen Antrag auf Reisekostenzuschuss bei der AG Kurzfilm eingereicht, dem auch innerhalb weniger Tage stattgegeben wurde. Dies war also auch meine allererste Reise in die USA, und ich muss sagen, ich bin durchweg begeistert.
Ann Arbor ist eine ca. 120.000 Einwohner zählende Universitätsstadt im US-Staat Michigan, ca. 50 Meilen westlich von Detroit. Die Stadt hat eine lange linke Tradition und Protestkultur, und auch während meines sechstägigen Aufenthalts fanden dort Demos und Kundgebungen gegen die Waffenlobby statt. Ich muss sagen, dieses offene, liberale Klima hat den Einstieg in die nordamerikanische Kultur wirklich erleichtert und ich fühlte mich vom ersten Tag an wohl.
Als ich am Flughafen Detroit ankam, wurde ich von einem ehrenamtlichen Fahrer abgeholt, der im realen Leben als Anwalt arbeitet. Er hat mich auf dem Weg zum Festival für einen kleinen Sightseeing-Abstecher durch den Nachbarort Ypsilanti und durch Ann Arbor entführt. Von ihm erfuhr ich auch, dass das Festival rein auf non-profit-Basis arbeitet und alle Mitarbeiter ausschließlich ehrenamtlich tätig sind. Dementsprechend werden alle Festivalgäste in Privatunterkünften und über die ganze Stadt verteilt untergebracht. Und ich kann nur sagen, ich hatte wirklich Glück, denn meine Hosts, ein pensioniertes Professoren-Ehepaar, waren die besten Gastgeber, die ich mir nur vorstellen konnte. Sie wohnten in einem der neoklassizistischen Holzhäuser, die für den mittleren Westen der USA so typisch sind. Ich hatte mein eigenes Zimmer mit separatem Bad, und morgens wurde ich zum Frühstück eingeladen, es fehlte also an nichts. Ich habe mich mit den beiden glänzend verstanden und wir hatten uns viel zu erzählen.
Das Festival selbst ist in Qualität und Quantität kaum zu übertreffen: Alle Filme laufen im historischen "Michigan Theater", und zwar sowohl im "Main Auditorium" als auch parallel dazu im etwas intimeren "Screening Room". Die Veranstaltungen beginnen um zehn Uhr morgens und gehen bis ca. 23 Uhr. Danach wird jeden Abend in einer anderen Location bis in die Puppen gefeiert. Neben den Filmen gibt es Film-Installationen, Film-Performances, Talks, Panels und Workshops. Für Filmemacher gibt es gemeinsames Mittagessen und viele Gutscheine, die in den benachbarten Restaurants, Bars und Coffeshops eingelöst werden können. Als Gast ist man also rund um die Uhr versorgt und man hat nur selten Gelegenheit, selbst Geld auszugeben.
Da mein Film im Wettbewerb war, habe ich mir vornehmlich die Internationalen Competition-Programme angesehen. Die Auswahl war wirklich überwältigend und sehr abwechslungsreich, der Schwerpunkt lag definitiv auf dem Experimentalfilm, der in den USA eine stärkere Tradition pflegt als hierzulande. Längere Dokus liefen parallel in einer Reihe "Features in Competition". Ein bisschen schade war, dass alle Filme nur einmal gezeigt wurden, wodurch man leider allzu oft die Qual der Wahl hatte. Dies wird jedoch wieder durch die große Zahl der Filme wett gemacht, denn im Wettbewerb liefen um die 120 Filme, was eben auch bedeutet, dass vielen unbekannten Filmemachern eine Chance gegeben wird. Und so habe ich mehrere Filmemacher kennengelernt, die mit ihrem allerersten Film im Wettbewerb vertreten waren.
Über die Screenings kann man sagen, dass sie alle gut besucht waren. Was mir im Vergleich zu den meisten Festivals, die ich in Europa besucht habe, aufgefallen ist: Das Publikum war außerordentlich begeisterungsfähig, nach jedem Film wurde applaudiert, oft auch gejubelt. Die Q&As waren meist kurz, das Publikum wurde nach einer kurzen Einstiegsfrage mit einbezogen. Auch hier fiel mir auf, dass es eine rege Beteiligung aus dem Zuschauerraum gab. Was die Qualität der Projektion anbelangt, so kann ich nur sagen, dass es trotz der vielen verschiedenen Formate kaum Fehler gab. Mein eigener Film begann etwas zu leise, weshalb ich mich darum kümmern musste, dass die Lautstärke erhöht wird. Leider durften wir als Filmemacher nicht mit den Filmvorführern sprechen, die Kommunikation lief stattdessen über Helfer, die im Zuschauerraum saßen und über ein Intercom mit den Filmvorführern kommunizierten. Aber auch das verlief vollkommen problemlos.
Mein insgesamt positiver Eindruck vom Festival und allem drumherum wurde natürlich am Ende noch dadurch übertroffen, dass mein Film den mit Filmmaterial im Wert von 2.000 USD dotierten Kodak Cinematic Vision Award gewonnen hat. Das Schöne ist, dass dieser Sachpreis sehr gut zu meiner Arbeit passt, da ich zum großen Teil auf Super-8 und 16mm arbeite. Ich werde also vollen Gebrauch davon machen können, das nächste Projekt ist quasi schon vorfinanziert!
Ich kann nur sagen, das AAFF ist eines der besten Filmfestivals, die ich in den letzten Jahren besucht habe. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall, denn trotz seiner Bekanntheit ist es ein kleines, intimes Festival, dessen Mitarbeiter sich um alle Filmemacher und Gäste kümmern. Dadurch lernt man schnell jede Menge Gleichgesinnte kennen und man fühlt sich sofort zuhause. Ein weitere Vorteil für Filmemacher aus Deutschland: Das Festival steht auf der Liste der FFA für Referenzförderung, d.h. mit der bloßen Teilnahme am Wettbewerb sammelt man schon 5 Punkte, wenn man dann auch noch einen der gelisteten Preise gewinnt, ist man mit 10 Punkten dabei! Mein Preis stand zwar nicht auf dieser Liste, d.h. ich konnte insgesamt nur 5 Punkte sammeln, aber alles andere wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.
Nachdem das Festival am Sonntagabend mit einer Party mit Live-Band vorüber ging, nahmen mich meine Gastgeber am Montag noch auf einen Tagesausflug nach Detroit mit. Sie zeigten mir die Ford-Werke, Downtown und sogar die Stadtviertel, die seit der Rezession total verarmt, heruntergekommen und verwüstet sind. Danach ging's direkt zum Flughafen. Insgesamt war diese Reise eine unglaublich tolle Erfahrung und hat mich auf den Geschmack gebracht, bei nächster Gelegenheit mehr Zeit in den USA zu verbringen.
http://aafilmfest.org