Tricky Women International Filmfestival Wien 2018
An einem Dienstag, 6.3.2018, früher Mittag, fahre ich los. Nach Wien, die Stadt, in der ich 2016 bereits ein halbes Jahr gewohnt, gemalt, studiert (u.a. bei D. Richter, D. Diederichsen, J. Kastner, T. Renoldner…), gelacht, getanzt und geweint habe. Gemischte Gefühle. Nichts Neues für mich und neu. Neu-Gier und Freude in Bezug auf das mich erwartende Festival, in dem ich ausschließlich von Frauen aus dem Bereich Animationsfilm umgeben sein werde, zudem ein begleitendes Programm, in dem z.b. eine Führung durch die Geschichte der Frauen in der Politik Wiens /Österreichs angekündigt wurde, was mich anspricht. Ungewiss, ein zweischneidiges Schwert ist Wien für mich seit 2016. Dennoch bin ich sehr zuversichtlich, denn es ist für mich eine tolle Inspiration und Chance, meinen Film auf dem Festival zu präsentieren und mich dort mit anderen Schaffenden auszutauschen.
Im Zug nach Wien schlafe ich recht bald ein. Schreibe dazwischen mit halb geöffneten Augen E-Mails, z. B. meiner Galeristin. So träume ich aus Versehen, ich hätte etwas Sex mit ihr. Da ich überzeugt straight vegan lebe, sublimiert sexuell, um in der Kunst hohe asketische Leistungen zu erbringen, war dieser Traum eine einmalige Sensation und ich habe meinem Angestellten gleich davon berichtet. Es schien ihn zu überraschen, dass ich als asexuelle Künstlerin sexuelle Aktionen mit einer Galeristin mental durchführe.
Nun in Wien nach 8,5 Std. angekommen, Koffer ziehen und Galerie suchen, die Straße holprig, steinig vom Winterstreudienst. Überreste vom fast geschmolzenen Schnee an den Straßenrändern. Die nächsten 2 Nächten und Tagen verbringe ich in der Galerie D.E.L.F.. Es ist die Galerie eines ehemaligen HFBK-Studenten. In der Galerie schlafe ich auf einer Matratze, direkt neben einigen halbverpackten Skulpturen, die in der Galerie ausgestellt wurden und neben „Die singende Leiche“, einem von mir gemalten Bild in Öl auf Leinwand, welches in D.E.L.F. 2017 Dezember ausgestellt wurde im Rahmen von „Warum muss der Sohn betteln“, einer Gruppenausstellung. Am 7.3. bin ich in Wien unterwegs: Joggen, Duschen bei Delf, dem Freund von Gustav (dem die Galerie D.E.L.F. gehört), Kaffee trinken (Wiener Melange mit Sojamilch), Gegend anschauen, Suchen nach W-LAN. Um 19 Uhr dann die Eröffnung des Tricky Women Filmfestivals. Ich werde mit „Pachet!“ von Beeke, einer der Organisatorinnen, freundlich begrüßt und mir werden Akkreditierungsunterlagen und weitere Infos bezüglich des Festivals gegeben. Es werden zur Eröffnung 4 Filme gescreent, darunter „The Burden“ von Niki Lindroth von Bahr, die selbst leider nicht anwesend war. Ein bemerkenswerter Animationsfilm, der letztlich den Audienceaward erhalten hatte, ich war daran mit meiner Stimme beteiligt. Am 8.3. treffe ich Thomas Renoldner, meinen ehemaligen Dozenten, bei dem ich u.a. einen Übermalungsporno 2016 an der Akademie der Bildenden Künste Wien begonnen hatte. (Der Film ist mittlerweile fertig.) Nachdem ich mit ihm in einem Competition- Screening gewesen bin, gehen wir auf eine Ausstellungseröffnung, im Bildraum 07. Die VR-Installation von Michelle und Uri Kranot heißt "Nothing Happens“. Außerdem wurden Bilder und Filme von Moïa Jobin-Paré gezeigt, die auch den Trailer für das Festival 2018 gemacht hat.
Eine 3D-Brille ziehe ich dort auf, so wie alle Anwesenden, und tappe damit auf Rindenmulch im Kreis herum. Um mich befinden sich gemalte Raben, Menschen, die aus toten Augen auf mich herabstarren. Teils befinde ich mich auf einem Baum, habe jedoch scheinbar keinen sichtbaren Körper im Film dabei. Thomas und ich gehen noch einen Imbiss essen, Würstchen mit Brot für ihn, vegan Falafel für mich. Wir lästern etwas über Menschen und Filme, die wir nicht gut fanden. Aber betonen auch den Film, den wir richtig gut fanden.
Bei der Führung über die weibliche Geschichte Wiens war ich an einem Vormittag und die war sehr informativ. Im Parlament waren wir da und lernten etwas über Sissy und was einen Helden ausmacht. Am Samstag 10.3., als mein Film abends gescreent wird, verbringe ich, nachdem ich joggen war und mir eine Wiener Melange bei Mc. Donalds im ersten Bezirk geholt habe, im Gästezimmer G3 am Museumsquartier, zu dem mich ein Security am Donnerstagmittag brachte. Es ist sonnig und warm, ich liege auf dem gelben Bett, und merke, dass ich Lampenfieber habe wegen des bevorstehenden Abends. Zu dem Mittagessen, zu dem ich netterweise eingeladen bin von der Festivalleitung, schaffe ich es nicht, in dem Zustand zu gehen und schäme mich deswegen. Fotografiere mich, notgedrungen, um mich zu beruhigen, beim Duschen, im Badezimmer, auf dem Bett, im sonnigen Türrahmen des Gästezimmers. Um zu wissen, wer ich bin, so weiß ich es, wenn ich es eingefroren im Bild sehe. Alles Reflektorische funktioniert bei mir über das Sehen. Schlechtes Gewissen. Weil ich nicht zum Essen gekommen war und stattdessen mit Nervosität im Zimmer verbringe und das auch nur per SMS mitgeteilt hatte an die Festivalcrew, die sich so nett um mich bemühten, mir extra vegan Essen geordert hatten. Letztlich lasse ich mich kurz bei dem Artist Talk in der Galerie blicken, hole mir ein Getränk für den Weg und mache mich mit der U 4 auf Richtung D.E.L.F., weil dort noch meine abgeschnittenen Haare lagen, welche ich vorhabe, zu versteigern, am Abend direkt nach dem Screening meines Films.
Das Screening verläuft gut. Und wir, die Filmemacherinnen, beantworten anschließend Fragen in einer Interview-Situation auf der Bühne. Man nannte mich „Queen Pachet“, ich weiss bis heute nicht, warum - jedenfalls wäre mein Film der gewesen, der -so die Interviewführende- wohl am meisten „verunsichert“ habe. Ich sprach über die Grenzen des Körperlichen und der Bürokratie und das Zusammentreffen von Öffentlich und Privat in meinem Film. Goldene Haare_1 habe ich versteigert, in einer Tüte mit Unterschrift, an eine freudige Frau aus dem Publikum.
Ach so, vor dem Screening unseres Programms Body Awareness wurde ein kleines Interview backstage von RadioOrange geführt, u. a. neben Katrin Rothe auch mit mir.
Erneute Selfies um mich zu beruhigen, im Bad, dann auf der Toilette des Festivalkinos…vor Mc Donalds gegenüber des Metro Kinokulturhauses stehe ich an den Tagen öfters, da ich dort W-LAN-Empfang habe. Dort fragt ein Rumäne, der Zeitungen verteilt, ob ich noch Jungfrau sei. Ausserdem sagt er, dass ich starken Sex bräuchte. Als ich sage, dass ich momentan keinen Sex benötige, meint er: „Ich mache Deinen Arsch kaputt.“ Ich sage: „Nein“. Füge hinzu: “Schreib das mal in der Zeitung.“
Wir sind später in einer Karaoke-Bar eingeladen, sind die Ehrengäste, ich singe „Express Yourself“ von Madonna, um mich herum Lesben und ein paar Gays oder andere Menschen, die Frauen von Tricky Women, es ist sehr voll und eng. Ich singe asynchron und habe von meiner letzten Show im Januar mit Cunt Career, als ich bereits Madonna gecovert habe, noch ein paar Moves auf Lager. Der Laden jubelt mir zu…tja so bin ich.
Sonntag 11.3. abends läuft die Wiederholung von Body Awareness, dem Programm, in dem mein Film läuft. Ich bin mit Axel dort, meinem Kumpel aus der Daniel-Richter-Klasse. Die gezeigten Filme sind ihm und mir etwas zu lieblich. Bis auf wenige Arbeiten, die einen intensiven Charakter in Wirkung und Style veräußerlichen, bin ich eher etwas unberührt im Ganzen, ich hatte es mir weniger „mainstreamig" bezüglich der filmischen Umsetzungen, die gezeigt wurden, vorgestellt. Axel und ich gehen ins Maleratelier der Richterklasse und unterhalten uns, ich schaue mir die Arbeiten von Axel an. Anschließend beschliesse ich, in den 2. Bezirk zu fahren, eigentlich will ich schauen, wie es dort nun aussieht, da ich in der Taborstraße 2016 gewohnt hatte und ich will gucken, ob die eine Bude mit billigen Falafeln noch offen hat. Dabei fertige ich ein paar Handyvideos an und gehe kurzerhand noch in eine Bar, ins „bricks - drink and dance“. Dort herrscht heitere Stimmung, zwar wenige Gäste, sagen wir 22 ca., die singen, und einer davon möchte mit mir sprechen, ausserdem will er „ficken“, das sagt er mir genauso, zuvor spricht er aber über meinen Marille-Saft, das sollte die Anmache, also der „Ohröffner" sein. Ich tanze mit ihm etwas, er ist schon attraktiv, braune Haare, Hemd, am Unterarm ein Tattoo mit Zeichen, die mich irgendwie fast an Freimaurer-Ästhetik erinnern - Er streichelt mich beim Tanzen, wir tanzen auf meinen Wunsch, Billy Idol „flesh for fantasy“. Er hebt mich hoch, wird ausgelassen wie ein junger quirliger Hund, – um so mehr ich lache, desto wilder wird er, greift mir zwischen die Beine…und schiebt meine Unterhose beiseite, zielgerichteter move. Am Ende, nach einer Stunde, teile ich ihm mit, dass ich gehen werde, meine Nummer geb ich ihm, aber es scheint ihm zu kompliziert - Er will mich sofort haben. Ich will aber ihn nicht. Es gefällt mir die Unverbindlichkeit. Wir machen Selfies am Eingang und verabschieden uns. „Hat mich sehr gefreut“, sagt er sanft und hält meine beiden Hände, als er vor mir steht.
Ich laufe mit zerrissenen Strumpfhose Richtung Museumsquartier zu meinem Gästezimmer. Ich bin aufgewühlt, als ich mich im Zimmer ausziehe und ins Bett lege. Ich schlafe nicht sofort ein. Am nächsten Tag bin ich im Leopold Museum für einen Nachmittag versunken in allen Ebenen der aktuellen Kunst-Ausstellungen dort. Die Collection „wow!“ von Heidi Horten sowie die Ausstellung „Absturzträume“ mit Schiele, Brus und Palme haben es mir angetan. Ausserdem entdecke ich aufs Neue die Seelenverwandtschaft von mir zu Schiele. Bei Thomas Palme bekomme ich zeitweise das Gefühl, er habe von mir abgeschaut und ich gehe im Kopf meine Zeichnungen, Ausstellungsveröffentlichungen und Webseiten durch…meine Paranoia ist da. Die letzte Nacht schlafe ich wieder in D.E.L.F. auf der Matratze im Nebenraum zwischen Skulpturen und der „singenden Leiche“ von mir.
Ich fahre Dienstag vormittags los mit dem Zug, erreiche Hamburg planmässig um ca. 22 Uhr, bin bald im Bett und bin all in all ein happy girl! Als zuvor aber mein Hamburger Zimmer betrete, sehe ich ein Paket… und darin befinden sich die Kataloge und das Pressematerial von German Films bzw. der AG Kurzfilm, welches für das Tricky Women Festival Wien gedacht war… Ich bedauere, dass das Paket nach meiner Abfahrt angekommen war und verteile daraufhin am 22.04.2018 beim Final Cut Screening im Metropolis Kino Hamburg das Pressematerial von der AG Kurzfilm. Im Katalog „german short films 2018“ bemerke ich meinen besten, – na sagen wir…meist feinen – Lieblings-Freund und Kollegen Nicolaas Schmidt, ebenso im Metropolis Kino, am heutigen Tag der Abschlussfilm-Screenings. Freue mich. Lampenfieber und Haarversteigerung. Life is live, Cannes oder Klamotten! Wien oder Hamburg, es leuchten Sterne am weiten Filmament!
www.trickywomen.at/