Palm Springs International ShortFest 2015
Bericht von Ilker Çatak (SADAKAT)
Das Festival war von Anfang an sehr bemüht, eine Vernetzung unter den Filmemachern herzustellen. Dafür gab es schon Monate vor Beginn des Festivals eine private Facebook-Gruppe, in der mehr als 450 Mitglieder versammelt sind. Hier haben sich die Leute gefunden, um Wohn-und Fahrgemeinschaften zu bilden, aber auch um Werbung in eigener Sache voranzutreiben: Trailer, Poster, Screening-Zeiten etc.
Mir ist aufgefallen, mit welchem Selbstverständnis die Leute ihre Filme und sich selbst beworben haben. Das wurde sogar vom Festival in einer der zahlreichen Rundmails motiviert: Visitenkarten und Postkarten sollte man ständig parat haben. Als ich dann dort war, ist mir aufgegangen, dass es in Amerika zum guten Ton dazugehört, sich selbst zu bewerben. Da ist nichts Verwerfliches dran auf Leute zuzugehen, ihnen eine Visitenkarte in die Hand zu drücken und zu sagen: „Mein Film läuft am Samstag. Kommt vorbei. Meine Filme waren zuvor schon auf vielen anderen Festivals. Ich habe viele Preise gewonnen und bin sehr talentiert.“ Das mag für jemanden mit deutscher Sozialisation befremdlich wirken, ist in den USA aber völlig okay.
Als ich ankam, wurde ich in die Filmmaker-Lobby eingewiesen. Zugang nur mit Akkreditierung. Dort konnte man sich aufhalten, andere Filmemacher treffen und jederzeit Drinks und Snacks für umsonst bekommen. Ein toller Ort, an dem sich auch andere Festivalteilnehmer zeigten: Programmer von anderen Festivals, aber auch Filmeinkäufer, die in einer direkt angeschlossenen weiteren Lobby einen Filmmarkt hatten, um sich die Filme am Computer anzusehen.
Palm Springs ist eine Wüstenstadt, in der ältere Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben, ihren Lebensabend verbringen. Es war schon auffällig, wie viele der „Volunteers“ Rentner waren. Das hatte Charme. Auch das Publikum in den Screenings hatte einen gefühlten Ü-60-Durchschnitt. Obwohl das Festival jeden Abend eine Party veranstaltet hat, waren auch die Screenings um 10.00 Uhr morgens immer rappelvoll. Mein Screening verlief sehr gut. Die Projektion war hervorragend und nach dem Block gab es ein Q&A mit allen Filmemachern. Noch im Anschluss an die Vorstellung hatte ich viele Menschen, die mir ihren Dank für den Film aussprachen, ihre Visitenkarte in die Hand drückten oder aber meine Kontakte anforderten. Leider war die Jury nicht in den Screenings. Sie hat sich die Filme im privaten Kreis angesehen.
Eine Freundin, mit der ich 2005 in Babelsberg an einer Paramount-Produktion gearbeitet hatte und später freundschaftlich verbunden blieb, wusste über Facebook, dass ich in Palm Springs war. Sie lud mich am ersten Wochenende des Festivals auf die Geburtstagsfeier eines Hollywood Produzenten ein. Das war in Los Angeles in einer der Beverly-Hills-Villen, mit Pool und Blick über die ganze Stadt. Ich fuhr dahin und wie sich herausstellte, war es der Geburtstag eines Mannes, der die Herr-der-Ringe-Trilogie koproduziert hatte. Sehr dekadent: Fingerfood, Hostessen und Kellner. Mit jedem Schritt um Haltung und Freundlichkeit bemüht. Ich war kurz etwas eingeschüchtert bei all den Leuten, die ich in ihrer Art noch am ehesten mit dem amerikanischen Begriff „larger than life“ beschreiben würde. Meine Freundin steckte mir, dass auch Joanne Sellar und Daniel Lupi auf der Party waren. Mein Herz raste. Denn das waren die Produzenten, die einen meiner liebsten Filmemacher seit Jahren produzieren: Paul Thomas Anderson. Ich fasste mir ein Herz und ging auf die beiden zu. Ich sprach Joanne einfach an, stellte mich vor und gab ihr zu Verstehen, welch großen Einfluss ihre Arbeit auf mein Schaffen gehabt hat. Denn besonders in den Making-Of-Videos von den PTA-Filmen kamen die Produzenten auch immer mal wieder zu Wort und ich fand es von jeher sehr bemerkenswert, dass man als Regisseur mit seinem Produzenten des Vertrauens zusammen wächst und über viele Jahre ein gemeinsames Werk auf die Beine stellt. Sie erzählte mir wie die Zusammenarbeit mit PTA aussah, dass ihr Mann die organisatorischen Fragen klärte und sie sich inhaltlich einbrachte. Sie waren auf der Party, um eine Geldgeberin davon zu überzeugen, den nächsten Anderson-Film zu finanzieren. Joanne war sehr zuversichtlich, dass sie nächstes Jahr schon den nächsten Film machen können. Da waren wir wieder bei der amerikanischen Direktheit, wenn es ums Unternehmerische ging. Im weiteren Verlauf des Abends beobachtete ich Joanne und Daniel. Sie belagerten diese Frau regelrecht und redeten auf sie ein. Und dann, ganz plötzlich, waren sie weg. Es wurde nicht getanzt oder großartig getrunken. Nein, diese Geburtstagsparty hatte einen „Netzwerk-Charakter“. Wie auch schon das Festival: Es ging wirklich oft darum, sich selbst und seinen Film voranzutreiben. Es ging um Selbstvermarktung.
Ich musste in dieser Nacht in Los Angeles in einem Motel absteigen. Zuvor noch auf einer filmreifen Hollywoodparty, jetzt in einem ranzigen Zimmer, das man aus amerikanischen Horrorfilmen kennt. Der Geruch von Zigaretten hing im Zimmer, draußen waren Polizeisirenen zu hören. Es war spooky. Mitten in der Nacht klopfte es an meiner Tür. Ich wurde aus dem Schlaf gerissen, doch öffnete nicht. Dann klopfte es erneut. Ich stand auf und rief „Who is it?“. Von draußen kam bloß „Please open the door“. Na gut dachte ich, jetzt scheiß Dir mal nicht ein. Ich öffnete die Tür und vor mir stand ein total kaputter Drogensüchtiger. „Is Tommy here?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Please tell Tommy I need him!“. Ich nickte freundlich und schloss die Tür wieder. Danach ging ich wieder schlafen. Doch kurze Zeit später tönte es aus dem Nachbarzimmer. Es bleibt der Phantasie überlassen, doch ich hatte den Eindruck, dass nebenan jemand gefoltert wurde. Oh Gott, dachte ich. Wenn ich hier wieder heile rauskomme, werd ich mal einen Film über meine Nacht in Hollywood machen. Kleine Anekdote am Rande.
Zurück in Palm Springs. Die Preisverleihung war für mich dann leider unter den falschen Vorzeichen geprägt. Eine Journalistin schrieb mich kurz zuvor an und forderte den Link zu meinem Film an. Alle würden wohl von SADAKAT sprechen und sie hätte vor, darüber in der Zeitung zu schreiben. Sofort schrieb ich ihr zurück. Und wenig später befand ich mich im Kino, wo auch zahlreiche Filmemacher auf mich zukamen und ihren Glückwunsch aussprachen. Offensichtlich gab es eine Mundpropaganda, in der mein Film als Festival-Favorit gehandelt wurde. Das schraubte meine Erwartungen für die Preisverleihung nicht gerade runter. Als wir dann mit leeren Händen ausgingen, war ich schon mächtig enttäuscht. Auch die Journalistin meldete sich nie wieder. Und mich überkam das Gefühl, dass man in Amerika bei all der Euphorie und Freundlichkeit der Menschen, nicht verleitet sein darf, sich zu viel darauf einzubilden. Stattdessen: weitermachen, unternehmerisch denken und nicht allzu bescheiden sein.
Es gab einige Wochen vor dem Festival eine Online-Umfrage, bei der die besten Filmfestivals der USA zur Auswahl standen. Wir wurden alle angeschrieben mit der Bitte für Palm Springs zu voten. In dem Moment dachte ich, dass es ja schon schräg ist, von uns ein Voting zu erwarten, ohne dass wir wissen, wie es dort überhaupt zugeht. Jetzt weiß ich: Es ist ein hervorragend organisiertes Festival, es kümmert sich um seine Teilnehmer und man knüpft viele Kontakte. Außerdem hat es eine gute Auswahl an Filmen. Die Selbstdarstellung der Teilnehmer, aber auch des Festivals, gehören wohl einfach dazu. Kulturelle Unterschiede, die im „Business“, wie die Unterhaltungsbranche in den USA kurz genannt wird, total normal sind. Gerne wieder!