Tribeca Film Festival 2018
Ob mein Film zum Festival zugelassen würde, war unklar. Grund dafür war der veränderte Premierenstatus von Blind Audition. Ben Thompson, der Programmdirektor für Kurzfilme, war davon ausgegangen, dass es sich um eine North American Premiere handelte. Tatsächlich war diese aber schon verstrichen, da wir auf einem kleinen Festival irgendwo mitten in den USA bereits gelaufen waren. Schnell googelte ich den Ort. 1000 Einwohner. Und schrie auf. Niemals hätte ich gedacht, dass der Premierenstatus bei einem (Kurz-)Filmfestival eine ausschlaggebende Rolle spielen könnte.
Mit gesenktem Haupt und einiger Enttäuschung erklärte ich Ben, dass der Film bereits in den USA gezeigt wurde, und fragte gleich, ob er denn immer noch zugelassen sei. Blind Audition wurde zurückgesetzt und mir war klar, dass wir wohl keine New-York Premiere feiern würden.
10 Tage später schrieb ich mir die Finger wund, wie ich Ben doch noch davon überzeugen konnte, Blind Audition zu zeigen. Schließlich hatte er den Film bei seinem persönlichen Anruf so sehr gelobt. Nach unzähligen Formulierungsversuchen und Telefonaten mit meiner Mutter wurde mir klar, dass, wenn überhaupt nur eine simple Frage wirklich Klarheit verschaffen könnte: Did you decide on Blind Audition yet? Ich zitterte...
Ben antwortete. Blind Audition soll eine New York Premiere in Tribeca feiern! Ich sprang im Kreis. Es war geschafft! Später sollte ich noch herausfinden, dass Ben und Sharon wohl meinen Film wirklich mochten. Das Festival beharrt sehr auf Premieren und am liebsten sind ihnen Weltpremieren. Das machte mich umso glücklicher.
In New York angekommen, war jede Sekunde durchgetaktet. Schon im Vorhinein hatten wir unzählige Einladungen zu Filmmaker-Partys, einer exklusiven Shorts-Party am Zipfel von Manhattan mit Blick auf die Freiheitsstatue, einer Cast Party und zum Directors Brunch bekommen. Letzterer war exklusiv für Regisseure mit einem Film im Festival und auf die Frage, wann man Robert De Niro sehen würde, sprach sich schnell herum, dass er den Brunch eröffnen würde.
Ich kam am zweiten Festivaltag in New York an, da meine Premiere am darauffolgenden Tag stattfinden sollte. Wohnungstechnisch hatte ich wahnsinnig Glück, da ich bei Freunden unterkommen konnte, die in der Nähe des Times Square ein Apartment im 26. Stock hatten. Ich stieg aus der U-Bahn an die Oberfläche. Die Sonne platzte durch die Hochhausschluchten und senkte sich langsam auf den Hudson River. Menschenmassen, von Hipstern bis zu Businessmen und Touristen, strömten auf den Bürgersteigen nach links und rechts. New York als Ort ist unvergleichlich und extrem divers. Allerdings war kaum Zeit, die Stadt, die ich zum Glück schon aus andren Urlauben kannte, zu erkunden.
Beim Festivalhub traf ich meinen Kameramann Manuel Meinhardt. Dort bekamen wir die Badges und Festivaltaschen. Obwohl jedem Team nur drei Badges zustanden, bekamen wir auf Anfrage mehr. Auf den ersten Blick dachte ich, dass das Festival freie Tickets und Badges sehr streng handhabt. Da die Badges aber übertragbar sind, kann jeder, der gerade Lust hat, egal ob Crew-Mitglied oder Bekannter, sich einfach einen Badge umhängen und ins Kino gehen. Das Festival ist in dieser Hinsicht extrem kulant. Und obwohl dem Regisseur nur 6 Freitickets im Vorhinein zur Verfügung gestellt werden, ist es überhaupt kein Problem, zahllose Filme zu schauen, und auch noch in ausverkaufte Premieren zu gelangen, wenn man rechtzeitig da ist. Tickets im Vorhinein zu kaufen, sobald die 6 Freikarten verbraucht sind, lohnt sich also nicht. Zusätzlich bekamen wir im Vorhinein auch noch Waiver Codes für die eigentlich sehr teuren Tribeca Talks und weitere Veranstaltungen.
Manuel, der Kameramann, war bereits am Vortag angereist und empfahl uns direkt in den 6. Stock des Hubs zu fahren, da sich dort die Nespresso Kaffee-Bar befand. Das bedeutete, so viel „For-free“-Kaffee zu trinken, wie man verträgt. Und nur einen Stock weiter war man bereits auf der Dachterrasse und konnte aus zahllosen freien Cocktails der Rooftop-Bar auswählen. Die Atmosphäre dort war einzigartig. Mit Teammitgliedern dort zu sein, ließ mich den Moment noch mehr genießen. Wir waren schon ziemlich stolz, dass wir uns mit unserem Kurzfilm in New York trafen und nun Cocktails bei praller Sonne schlürften. Die Stadt, die Atmosphäre, die Rooftop-Partys und die Partys auf den benachbarten Hochhäusern, die man vom Hub aus entdecken konnte, ließen das Bild der Stadt noch extravaganter werden.
Leicht angetrunken ging es um acht Uhr weiter zur Filmmaker Party, während der Hudson River die Sonne verschlang.
Sponsor der Party war Netflix. Natürlich mit Free Drinks und einem kleinen Büffet. Endlich traf ich den Hauptdarsteller Simon Kluth, der extra für ein Wochenende nach New York geflogen war. Auf der Party sprachen wir dann mit anderen Filmemachern und konnten erste Kontakte knüpfen. Ich lernte eine Dokumentarfilmemacherin kennen, die ich von da an immer wieder auf dem Festival traf. Manchmal fühlte es sich komisch an, fremde Leute einfach anzusprechen. Hatte man sich dann mal überwunden, stellte sich bald heraus, dass nicht nur Filmemacher auf der Party waren. „Oh, I’m just a friend of a guy who had a film here last year.“ Was aber auch sehr schön war, da ich ohne große Probleme mehr Leute zu den Partys mitbringen konnte, als auf der Gästeliste standen. Normalerweise war immer nur ich plus eine Person eingeladen.
Als die Party zu Ende war, ging es in kleinen Gruppen weiter. Das Festival ist über die gesamte Südseite Manhattans verstreut, weshalb man die Stadt und die einzelnen Viertel gut kennenlernen kann, wenn man sich die Zeit nimmt, was in unserem Fall schwierig war. Wir hatten uns bereits für ein Filmmaker Soccer Game in Brooklyn um 8:30 AM am nächsten Morgen angemeldet. Also ging es schnell zurück in die Metro und am nächsten Morgen dank Jetlag um 6 schon wieder raus. Ab in die Metro, bis wir kurze Zeit später bei stechender Sonne vor der Skyline von Manhattan Frühsport machten und bei Up-Beat Musik Fußball spielten. Endlich lernten wir Ben kennen, der Blind Audition ja für Tribeca ausgewählt hatte.
Um 19 Uhr desselben Tages war unsere New York Premiere in einem Kino, in dem jeder Sitz einem riesigen, elektrisch-verstellbaren Sessel glich, mit dem man sich in alle erdenklichen Positionen manövrieren konnte. Manchmal hörte man also während des Films, wie sich zwei Sitze weiter ein Zuschauer in die Waagerechte brachte oder seinen Kopf elektrisch aufrichtete. Alle Regisseure waren zur Premiere ihres Films angereist und hatten reservierte Plätze. Das Kino war fast ausverkauft. Nachdem alle Filme gezeigt wurden, gab es ein Q&A, bei dem Ben ein paar Fragen zu den Filmen stellte, die sich deutlich von den Fragen anderer Festivals unterschieden und mich dadurch positiv überraschten. Man spürte, dass Ben bei jedem Film ein persönliches Interesse hatte. Er fragte mich beispielsweise, wie ich vor Beginn der Dreharbeiten mit meinen beiden Hauptdarstellern gearbeitet hatte, um die subtile Anziehung und Beziehung der beiden im Film darzustellen. Ihn überraschte, dass ich am Ende nur zwei Probentage hatte, bevor wir zu drehen begannen, dort aber den Beginn der Beziehung mit Improvisation durchspielte, um ein Fundament für die Beziehung zu setzten.
Danach waren wir noch mit allen Regisseuren unseres Shorts-Porgramms „Make or Break“ essen und tanzen. Eine belgische Filmemacherin, ein französischer Regisseur, ein irischer Regisseur, und zwei Österreicher, deren Filme in einem anderen Programm gezeigt wurden. Unser Programm war relativ europäisch, wobei ich der einzige deutsche Regisseur im Wettbewerb war. Das Festival zeigt sehr viele amerikanische Filme. Dass unser Programm so europäisch war, war womöglich Zufall.
Der Rhythmus der nächsten Tage ließ in nichts nach. Partys, neue Leute, immer wieder New York bei Tag und bei Nacht. Durch das Festival fühlte ich mich vollkommen zuhause in New York. Am schönsten war es, auf Partys andere Filmemacher kennenzulernen, ihnen den eigenen Screening-Termin mitzuteilen und zu deren Screenings zu gehen. So lernte ich auch Tim McGrath kennen. Er selbst hatte vor einigen Jahren einen Amoklauf in einem Kino in Florida überlebt. Während einer Vorstellung von The Dark Knight begann ein Junge auf die Besucher des Kinos zu schießen. Mit seinem Film über dieses Trauma lief er nun in Tribeca. Wir waren danach essen gegangen und ich war überrascht, dass er die Szenen des Amoklaufs in seinem Film fast gänzlich ausgespart hatte. Doch kurz darauf war mir klar, dass er das nicht hätte drehen können. Er meinte, dass er das nicht noch einmal sehen und es niemandem zumuten wollte und dass schon der kurze, fiktionale Ausschnitt ausreiche. Ich konnte das natürlich nachvollziehen, und obwohl Tim ein wahnsinnig aufgeschlossener und zuvorkommender Mensch war, spürte ich, dass sein Trauma immer noch präsent war. Etwas, das seine augenscheinliche Fröhlichkeit und Offenheit zu trüben schien, was mich wieder einmal zu der Frage führte, welche Voraussetzungen ein Regisseur für einen Film mitbringen muss. Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass es hilft, wenn man das, was man erzählen will, in irgendeiner Weise selbst erlebt hat, um es realistisch und authentisch zu erzählen. Dass das Erlebte in manchen Bereichen der Inszenierung aber auch zu einem großen Widerstand führen kann, wurde mir im Gespräch mit Tim klar. Möglicherweise macht es mich manches Mal sogar freier, etwas zu erzählen, in dessen Abgründe ich mich relativ naiv hineinbewegen kann, ohne dafür einen extremen inneren Widerstand überwinden zu müssen. Tims Film handelte daher vorallem von den unzureichenden Möglichkeiten der Trauma- Aufarbeitung nach einem solchen Erlebnis.
Nach New York zu fliegen war eine vielseitige Erfahrung, die noch viel mehr bot. Ich traf bspw. eine Produktionsfirma, die meinen Film gesehen hatte und mit mir Kontakt aufnehmen wollte. Immer wieder kamen Filmemacher und Zuschauer auf mich zu und beglückwünschten mich zu dem Film.
Ich ging spontan zur Park Avenue ins BAFTA Office, da ich auf der BAFTA Student-Shortlist 2017 war. Dort sprach ich mit Lisa über Filme, über neue Projekte und sie meinte, dass ich mich immer melden könnte, wenn ich mal deren Hilfe bräuchte. Außerdem sagte sie: It’s not about being the best. You’ve got to know the right people.
Und dann erzählte sie noch, dass sie einmal mit Inarritu vor einem Revenant-Screening gesprochen und daraufhin Angst bekommen hätte, er würde sich beim exklusiven BAFTA-Screening und dem anschließenden Q&A übergeben müssen, weil er wegen der bekannt gewordenen Nominierungen „so hangover“ war, wie er ihr kurz zuvor offenbarte.
Als ich am letzten Tag wieder zum Flughafen JFK fahren musste, zog mich die ganze Stadt zurück. Ich wollte noch länger bleiben, noch länger durch die Straßen laufen, noch länger auf dem Festival sein, noch mehr Zeit mit den anderen Filmemachern verbringen, mit denen ich mich angefreundet hatte. Mein Flug sollte aber schon in zwei Stunden abheben. Ich hatte noch über eine Stunde Fahrt vor mir.
Nachdem ich zwei Stationen im A-Train gefahren war, realisierte ich, dass ich in die falsche Richtung eingestiegen war. Ich wechselte panisch die Richtung, wartete auf dem Gleis, quetschte mich schließlich in eine überfüllte Metro in die entgegengesetzte Richtung und sprang in letzter Minute in die Boeing 747 zurück nach Deutschland.
Vielen Dank an German Films und AG Kurzfilm für die Unterstützung.
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